Freitag, 8. Oktober 2010

Verrat




Und sie kommen an ein Gut mit Namen Gethsemane, und er spricht zu seinen Jüngern: Setzt euch hier, bis ich gebetet habe! Und er nimmt den Petrus und Jakobus und Johannes mit sich und fing an, sehr bestürzt und geängstigt zu werden. Und er spricht zu ihnen: Meine Seele ist sehr betrübt, bis zum Tod. Bleibt hier und wacht! Und er ging ein wenig weiter und fiel auf die Erde; und er betete, daß, wenn es möglich sei, die Stunde an ihm vorübergehe. Und er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir weg! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst! Und er kommt und findet sie schlafend, und er spricht zu Petrus: Simon, schläfst du? Konntest du nicht eine Stunde wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt! Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach. Und er ging wieder weg, betete und sprach dasselbe Wort. Und als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn ihre Augen waren beschwert; und sie wußten nicht, was sie ihm antworten sollten. Und er kommt zum dritten Mal und spricht zu ihnen: So schlaft denn fort und ruht aus! Es ist genug; die Stunde ist gekommen, siehe, der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überliefert. Steht auf, laßt uns gehen! Siehe, der mich überliefert, ist nahe.

Und sogleich, während er noch redet, kommt Judas, einer der Zwölf, heran und mit ihm eine Menge mit Schwertern und Stöcken, von den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und den Ältesten. Der ihn überlieferte, hatte ihnen aber ein Zeichen gegeben und gesagt: Wen ich küssen werde, der ist es. Den greift, und führt ihn sicher fort! Und als er kam, trat er sogleich zu ihm und spricht: Rabbi! und küßte ihn. Sie aber legten ihre Hände an ihn und ergriffen ihn. Einer der Dabeistehenden aber zog das Schwert, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. Und Jesus begann und sprach zu ihnen: Seid ihr ausgezogen wie gegen einen Räuber mit Schwertern und Stöcken, mich zu fangen? Täglich war ich bei euch, lehrte im Tempel, und ihr habt mich nicht ergriffen; - aber damit die Schriften erfüllt werden ! Und es verließen ihn alle und flohen. Und ein junger Mann, der ein Leinenhemd um den bloßen Leib geworfen hatte, folgte ihm, und sie ergreifen ihn. Er aber ließ das Leinenhemd fahren und floh nackt.

Und sie führten Jesus weg zum Hohenpriester; und alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten versammeln sich. Und Petrus folgte ihm von weitem bis hinein in den Hof des Hohenpriesters; und er saß nun mit bei den Dienern und wärmte sich am Feuer. Die Hohenpriester aber und der ganze Hohe Rat suchten Zeugnis gegen Jesus, um ihn zu Tode zu bringen; und sie fanden keins. Denn viele legten falsches Zeugnis gegen ihn ab, und die Zeugnisse waren nicht übereinstimmend. Und einige standen auf, legten gegen ihn falsches Zeugnis ab und sprachen: Wir hörten ihn sagen: Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen, und in drei Tagen werde ich einen anderen aufbauen, der nicht mit Händen gemacht ist. Und auch so war ihr Zeugnis nicht übereinstimmend. Und der Hohepriester stand auf, trat in die Mitte und fragte Jesus und sprach: Antwortest du nichts? Was zeugen diese gegen dich? Er aber schwieg und antwortete nichts. Wieder fragte ihn der Hohepriester und spricht zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin es! Und ihr werdet den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels. Der Hohepriester aber zerriß seine Kleider und spricht: Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört. Was meint ihr? Sie verurteilten ihn aber alle, daß er des Todes schuldig sei. Und einige fingen an, ihn anzuspeien und sein Angesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage! Und die Diener schlugen ihn ins Gesicht.

Und als Petrus unten im Hof war, kommt eine von den Mägden des Hohenpriesters, und als sie den Petrus sich wärmen sah, blickte sie ihn an und spricht: Auch du warst mit dem Nazarener Jesus. Er aber leugnete und sprach: Ich weiß nicht, verstehe auch nicht, was du sagst. Und er ging hinaus in den Vorhof. Und als die Magd ihn sah, fing sie wieder an, zu den Dabeistehenden zu sagen: Dieser ist einer von ihnen. Er aber leugnete wieder. Und kurz nachher sagten wieder die Dabeistehenden zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von ihnen, denn du bist auch ein Galiläer. Er aber fing an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet. Und sogleich krähte zum zweiten Mal der Hahn. Und Petrus gedachte des Wortes, wie Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er begann zu weinen.


(Kapitel 14, 32 – 72)

Bis zu diesem Moment hat Jesus einen nicht unerheblichen Schutz genossen – am Tag durch die Menge der ihm zuhörenden und ihn verehrenden Juden im Tempel, bei Nacht durch die Dunkelheit und den unbekannten Aufenthaltsort in Betanien. Auf seinem täglichen Weg zu diesem Dorf verläßt er auch an dem Abend, an dem sich unsere Geschichte fortsetzt, Jerusalem in östliche Richtung, durchquert ein Bachtal und nimmt dann den hier recht steilen Weg hinauf auf den Ölberg. Auf der anderen Seite dieses Berges liegt Betanien.

Auf halbem Weg zum Ölberg hinauf liegt das chorion Gethsemane, wie es im griechischen Urtext heißt, ein Gut, ein Stück Land, das groß genug ist, einen Namen zu haben. Hier muß Jesus entlang, das weiß Judas mit seiner wilden Truppe, und der helle Vollmond des 15. Nisan macht es ihm zusätzlich leicht, Jesus und die Gruppe der Jünger zu finden.

In dem gesamten Kapitel gibt es außer Jesus keine einzige Figur, die unsere Sympathie verdient – vielleicht mit Ausnahme des jungen Mannes, der nicht sogleich flieht, dadurch in die Hände der Verfolger gerät und ihnen dann nackt entkommt. Manche Ausleger vermuten, daß unser Evangelist Markus selbst dieser junge Mann war.

Alle anderen sind Verräter, Verleugner, falsche Zeugen, ungerechte Richter. So sind also die Menschen! So sehen es jedenfalls die Christen, die dies lesen. Und die Christen bleiben von dieser Erkenntnis her sehr oft, besonders in den Augen der Moslems, ein Volk, das in seinem Innersten verunsichert und verschüchtert ist. Sie leben als ob sie mit einem Buckel geboren wären, wie Yaşar Nuri Öztürk schreibt, mit einem sehr zornigen Unterbewußtsein.

Ich habe gelernt, den Spiegel zu ertragen, den unsere muslimischen Nachbarn uns hier vorhalten. Ich halte ihn sogar im Prinzip für richtig, mache allerdings gerne geltend, daß ein von seinem Buckel befreiter Mensch möglicherweise freier lebt und mehr erreicht als der Gesunde, der nie eine Behinderung gekannt hat.

Wie auch immer – am Ende seines Lebens muß Jesus erleben, daß er seine Sendung auf diese Welt vollkommen allein und nur auf sich gestellt an ihr Ziel bringen muß.



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