Dienstag, 19. Oktober 2010

Marga Behrend zu "Das Kreuz Jesu"




Lieber Christian, lieber Nureddin,

im Folgenden möchte ich etwas ganz und gar Privates, Persönliches zum Kreuz Jesu erzählen. Erst anschließend will ich mich dann theologisch dazu äußern.

Wenn jemand zum ersten Mal davon hört, dass ein Religionsstifter auf eine qualvolle und, nach damaligem Brauch, schmachvolle Weise zu Tode gebracht wurde, dann kann er das gar nicht glauben. Das leuchtet mir ein. Ich möchte jetzt erzählen, dass es auch für einen Christenmenschen sehr schwierig ist, die Kreuzigung anzuerkennen.

Ich bin ein einem Elternhaus aufgewachsen, das gegen alles Religiöse eingestellt war und deshalb hörte ich den Namen „Jesus“ zum allerersten Mal im Religionsunterricht in der Schule im Alter von 7 Jahren, und er fiel mir augenblicklich mitten ins Herz. Was Karfreitag bedeutet, wurde aber erst in späteren Schuljahren unterrichtet, so dass ich schon 10 Jahre alt war, als ich zum ersten Mal etwas über die Kreuzigung hörte. Ich nahm das hin, wie ich alles hinnahm. Ich bin mitten in den Greueln des 2. Weltkrieges aufgewachsen und da gab es überhaupt kein anderes Mittel, die Dinge zu ertragen, als alles hinzunehmen. Niemals hätte ich meine Eltern damals betrüben wollen mit Fragen, warum alles so ist, wie es ist. Jedes Jahr am Karfreitag, dem Tag der Kreuzigung Jesu, war ich traurig. Da meine Eltern über nichts Religiöses sprechen wollten, blieb ich mit meinem Kummer, auch mit meinen religiösen Aktivitäten, also hauptsächlich Gebeten, völlig allein.

Als ich mit 22 Jahren heiratete, konnte ich auch mit meinem Mann nicht darüber sprechen. Auch er hatte sich im Zorn von der Kirche abgewandt. So ging es mir in Fleisch und Blut über, niemals über etwas Religiöses zu sprechen. Meine Liebe zu Jesus vertiefte sich aber immer mehr, je älter ich wurde.

Als ich 46 Jahre alt war sah ich jeden Morgen beim Frühstück Jesus am Kreuz leiden und ich weinte bitterlich. Das dauerte vier Monate und danach verschwand es, so wie es gekommen war. Mit dieser Qual, die ich da mit Jesus miterlebte, wollte ich nichts zu tun haben. Er sollte nicht meinetwegen ans Kreuz geschlagen sein. Nein, auf gar keinen Fall!!!!

Als ich 67 Jahre alt war, las ich die Vorlesungen von Joseph Ratzinger, dem jetzigen Papst Benedikt XVI., und während des Lesens hörte ich plötzlich eine Stimme in meinem Innern. Sie sprach: Die Menschheit ist ein Wesen. So wie das Minaralreich, das Pflanzenreich und das Tierreich, jedes für sich betrachtet, auch ein Wesen ist. Die Menschheit wird eines Tages insgesamt erlöst sein, also den Weg ins Paradies, oder wie immer man das nennen will, wieder zurück gefunden haben. Da Du in diesem Leben als Christin aufgewachsen bist und Dich mit dem Christentum beschäftigt hast, besteht Dein Erlösungsweg darin, dass Du Jesus nachfolgst. Klammerst Du etwas aus dem Erlösungsweg aus, zum Beispiel die Kreuzigung, dann hältst Du alle Menschen, denen es bestimmt ist, auf diesem Erlösungsweg voranzukommen, auf.

Was für ein Wort! Nein, das wollte ich natürlich auch nicht, die Menschheit insgesamt aufhalten, wenn sie unterwegs war heim zu Gott. Schließlich nach längerer Zeit rang ich mich dazu durch, die Kreuzigung auch für meine Person in Anspruch zu nehmen und ich dankte Jesus, dass er auch für mich durch dieses qualvolle Todestor gegangen war.

Nach einiger Zeit begriff ich, warum zwischen dieser schmerzvollen Vision und der inneren Stimme so viele Jahre hatten liegen müssen, immerhin 21 Jahre. Ich erklärte es mir so: Das Herz musste nach diesem schrecklichen Leiden erst einmal wieder zur Ruhe kommen, bevor der Verstand in der Lage war, in dieser Angelegenheit etwas aufnehmen zu können, und ich könnte mir denken, dass es sich beim Menschen generell so verhält. Erst wenn das Herz alles verwunden hat, ist der Verstand wieder ansprechbar.

Und dann geschah ein Drittes. Als Joseph Ratzinger Papst geworden war, also Benedikt XVI. wurde der Kreuzweg in Rom zum ersten Mal auch im deutschen Fernsehen übertragen. Da gehen Menschen an allen Passionsorten, die als überlebensgroße Gemälde an den Seiten des Weges stehen, vorbei und zu jedem Passionsort wird ein Text gesprochen. Der Papst trug vorweg den Kreuzstab und man konnte ihn immer gut sehen. An einer Stelle des Kreuzweges begann ich zu weinen und ich sah, wie Benedikt XVI. sein Taschentuch aus dem Ärmel zog. Die Kamera schwenkte dann zur Seite, aber ich war mir sicher, dass auch er weinte. Es war die Stelle, als Jesus vom Kreuz abgenommen war und seiner Mutter Maria in den Schoß gelegt wurde. Der Kreuzweg war bald danach zu Ende. Der Papst sprach noch einige Worte zu den tausenden Gläubigen, die ihm zujubelten.

Da empfand ich es zum ersten Mal, wie tröstlich und hilfreich es sein kann, im Schmerz einen Gefährten zu haben.

Seitdem bin ich immer noch traurig am Karfreitag, aber niemals mehr so sehr, wie ich es früher gewesen war.

So weit mein persönliches Erleben.



Jetzt möchte ich noch schreiben:

Das Kreuzsymbol aus theologischer Sicht

Lieber Nureddin, Du sagst, dass es Dir nicht einleuchtet, warum die Christen für ihr Glaubensleben das Kreuz zum Symbol erwählt haben.

Das Kreuz enthält aber tatsächlich die ganze Essenz des Christentums. Jesus brachte eine Aufgabe zum Abschluss, als er sich widerstandslos hinrichten ließ und um Vergebung seinen Peinigern gegenüber rang. Er hat sich dazu durchgerungen und verlangt das auch von uns. „Folge mir nach“ heißt, verwandelt eure Untugenden in Tugenden, ersetzt die Eifersucht durch die Großmut, den Geiz durch die Mildtätigkeit, den Neid durch Zufriedenheit usw. Jesus hat also das Kreuz, das bei den Römern ein Zeichen der Schmach war, denn kein Bürger des Römischen Reiches durfte gekreuzigt werden, das wäre eine Demütigung für das gesamte Römische Reich gewesen, also Jesus hat das Kreuz der Schmach in das Kreuz des Sieges verwandelt und auch wir sind aufgerufen, unsere Untugenden durch Tugenden zu ersetzen, denn man kann nichts wegwerfen, wenn man es nicht durch etwas anderes ersetzt. Ja, das Kreuz ist das Symbol für den Sieg, den jeder in seinem Innersten über seine Schwächen erringen soll und wenn er das Kreuz beispielsweise am Hals trägt und an sich selbst intensiv arbeitet, wird ihn dieses Symbol bei dieser Arbeit ein wenig unterstützen.

So viel für heute. Gerne würde ich noch über Pilatus und über Judas schreiben, die sogar von den Christen oft missverstanden werden. Wenn das gewünscht wird, kann ich es ein anderes Mal tun.



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