Montag, 19. Juli 2010

Nureddin zu "In der Schwebe"




Jesus (Friede sei mit ihm) stellt hier fest, wie der Glaube aussehen soll. Der Glaube soll frei von Zweifel sein, dann wird man sehen, daß nicht nur ein Feigenbaum verdorrt, sondern daß sogar Berge versetzt werden. Diese Aussage von Jesus (FSMI) ist mir nicht fremd, auch Mohammed (FSMI) hat in ähnlicher Weise Glauben gefordert. Die Apostel Jesu (FSMI) und die Apostel Muhammeds (FSMI), die Sahabi, haben lebendige Beispiele für den Glauben persönlich erlebt, sie haben vertraut und sind nicht enttäuscht worden. Sie haben weltlich gesehen sehr viel verloren und sehr bescheiden gelebt, sie haben vermutlich eher verzichtet als gelebt. Aber im wirklichen Leben im Jenseits, das unendlich ist, haben sie Ersatz für ihren weltlichen Verzicht, der mehr als genug ist. Möge Gott uns zu Nachbarn von ihnen werden lassen.

Aufgeklärte Zeitgenossen und auch wir zeitgenössischen Gläubigen werden nie so sein wie diese Jünger und sie nie vollkommen verstehen. Wir werden unser Leben nicht so bescheiden führen können und nicht die Religion so an die erste Stelle unserers Lebens setzen können wie sie. Wir würden wahrscheinlich auch versagen, in letzter Konsequenz, wenn es hart auf hart kommt und wir aufs Schärfste auf die Prüfung gestellt werden.

Nun muß man allerdings sehen, daß wir nicht neben der Quelle sitzen wie sie und in einem anderen Jahrhundert leben, mit anderen Voraussetzungen und anderen Möglichkeiten. Wir haben viele Dinge, die uns den Alltag vereinfachen und die nicht einmal mehr als Luxus angesehen werden, unsere Autos, unsers Handys, Waschmaschinen etc. Aber daneben haben wir in unserer Konsumgesellschaft vieles, auf das man gerne im Sinne unseres Glaubens verzichten könnte.

Es heißt in einem Hadith, wer satt ins Bett geht, während sein Nachbar hungert, ist nicht einer von uns. Wieviel Essen wird bei uns weggeworfen, während in Afrika und anderswo Menschen an Hunger sterben. An dieser Stelle kann und muß unser Glaube uns von anderen unterscheiden. Eine helfende Hand wird weltweit dringend gebraucht. Wir benötigen an vielen Orten sauberes Trinkwasser, gesundheitliche Versorgung, Schulbildung.

Diese helfende Hand kann und muß unsere sein. Auch wenn wir nicht so starke Gläubige sind wie die Apostel, so bleiben sie doch unsere Vorbilder, und wir stehen in der Pflicht, ihnen so weit wie möglich zu folgen, wenn wir uns Gläubige nennen wollen. Man kann das Paradies nicht nur aus Glauben erwarten, man muß seinen Glauben auch praktizieren und in gute Taten für die Menschen umsetzen.

Was die zeitgenössischen Schriftgelehrten und Tempeldiener Jesus (FSMI) antaten, taten später die zeitgenössischen Schriftgelehrten und Tempeldiener Mohammed (FSMI) in gleicher Weise an. Sie sahen die Religion schemenhaft an und nach dem Maße ihrer Bequemlichkeit, nicht im Sinne Gottes, also nach der Reinheit des Glaubens und nach den wahren inneren Werten. Sie hatten die Religion weitestgehend instrumentalisiert und sie damit vom wahren Weg entfernt. Die Religion diente ihnen zur weltlichen Macht und zum wirtschaftlichen Erfolg statt daß menschlicher Erfolg in den Dienst der Religion gestellt wurde. Solchen Leuten waren Jesus und Mohammed (FSMI beiden) beide in ihrer Zeit unbequem und daher sehr unwillkommen mit ihrer Korrektur.

Ähnliche Erfahrungen in kleinem Maßstab können wir zeitgenössische Gläubige auch heute erleben. Nach einer bestimmten Weile verändern "Schriftgelehrte" die Religion nach ihrer Bequemlichkeit und wirken von außen als Fremde auf sie ein, wie etwa die Römer auf das Christentum. Sie verursachen furchtbare Folgen für die Institution der Religion. Als Konsequenz suchen Menschen das Weite, angesichts des Elends, das die Religionsvertreter der verfälschten Religion heraufführen. Kriege im Dienste Gottes werden geführt, Menschen im Sinne der Religion ausgebeutet oder mißbraucht. Die aktuellen Meldungen über die betrunken Autofahrende und mit fremden Männern gesichtete führende Geistliche der einen großen Kirche und die vielen schrecklichen Mißbrauchsfälle von Geistlichen Kindern gegenüber in der anderen großen Kirche machen deutlich, daß das Elend weitergeht.

Im Islam gibt es diese Schriftgelehrten auch, wie Osama Bin Laden usw., solche, die zu Gewalt aufrufen und unschuldige Menschen ermorden. Gott sei dank sind diese Figuren im Islam eher eine Randerscheinung. Vielleicht ist das Fehlen eines Kalifen im Islam, der von einer Weltzentrale aus alle Gläubigen vertritt, angesichts der Situation bei den Muslimen eher positiv statt negativ. Wenn jetzt diese Probleme thematisiert werden, ist eine ähnliche Behandlung wie gegenüber Jesus und Mohammed (FSMI beiden) oder ihren Aposteln, auch uns gegenüber nicht verwunderlich. Trotz alledem möge Gott uns zu wahren Gläubigen in seinem Sinne machen.

Wahre Gläubige zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht davor haltmachen, auch für die Schriftgelehrten unserer Zeit unbequem zu sein, und daß sie für eine bessere Welt von morgen arbeiten. Auf diesem Weg sind Prügel von links und rechts nichts Ungewöhnliches, eher eine Bestätigung, daß man das Richtige tut, weil Gott es so will.

Jesus (FSMI), Muhammed (FSMI) und die anderen Propheten macht uns Gott zum Vorbild, für den Glauben sogar bis zum Äußersten zu gehen. Auch wir müssen Gott an die erste Stelle für uns setzen und in diesem Sinne eine absolute Entschlossenheit durch einen zweifelsfreien Glauben bekommen, um dem Elend in der Welt ein Ende zu setzen.

In diesem Sinne kann auch ein Gottesstaat im Diesseits möglich sein. Der jetzige Iran oder Saudi Arabien sind keine Gottesstaaten, auch wenn Pilgerorte geographisch dort liegen oder die Regierungen sich islamischer Staat nennen. Wo der Wille des Einzelnen nicht respektiert, ja unterdrückt wird, ist Gottes Wille nicht vorhanden. In diesem Sinne sind Demokratien einem islamischen Gottesstaat noch am ähnlichsten.

Jesus (FSMI) hätte einen solchen Gottesstaat gewiß umgesetzt, wenn er die Allianz der jüdischen Schriftgelehrten mit den polytheistischen Römern überlebt hätte. Mohammed (FSMI) hat die Idee eines solchen Staates in Medina und später in weiten Teilen des Vorderorients in die Tat umgesetzt.

Nach dem Tod des Propheten hat es allerdings nicht lange gedauert, bis alles zu Ende war. Die Zeit der vier großen Kalifen Ebu Bekir, Ömer, Osman und Ali (Gott sei mit ihnen) war noch als gut zu bezeichnen. Alle anderen darauffolgenden Staaten, die sich Gottesstaat nannten, waren weitgehend davon entfernt. Die besseren waren noch das andalusische Modell, das Osmanische Modell, aber das alles war natürlich kein Vergleich zu Mohammeds (FSMI) Zeit, die immer noch die Zeit der Rose genannt wird.

In einem Hadith heißt es aber, es wird in der letzten Zeit vor dem Ende erneut eine ähnliche Zeit der Rose geben. Wenn er es prophezeit, wird es eintreten.


Samstag, 10. Juli 2010

In der Schwebe




Und als sie frühmorgens vorbeigingen, sahen sie den Feigenbaum verdorrt von den Wurzeln an. Und Petrus erinnerte sich und spricht zu ihm: Rabbi, siehe, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist verdorrt. Und Jesus antwortete und spricht zu ihnen: Habt Glauben an Gott! Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berg sagen wird: Hebe dich empor und wirf dich ins Meer! und nicht zweifeln wird in seinem Herzen, sondern glauben, daß geschieht, was er sagt, dem wird es werden. Darum sage ich euch: Alles, um was ihr auch betet und bittet, glaubt, daß ihr es empfangen habt, und es wird euch werden. Und wenn ihr steht und betet, so vergebt, wenn ihr etwas gegen jemand habt, damit auch euer Vater, der in den Himmeln ist, euch eure Übertretungen vergebe.

Und sie kommen wieder nach Jerusalem. Und als er in dem Tempel umherging, kommen die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die Ältesten zu ihm und sagen zu ihm: In welcher Vollmacht tust du diese Dinge? Oder wer hat dir diese Vollmacht gegeben, daß du diese Dinge tust? Jesus aber sprach zu ihnen: Ich will euch ein Wort fragen. Antwortet mir! Und ich werde euch sagen, in welcher Vollmacht ich diese Dinge tue: War die Taufe des Johannes vom Himmel oder von Menschen? Antwortet mir! Und sie überlegten miteinander und sprachen: Wenn wir sagen: vom Himmel, so wird er sagen: Warum habt ihr ihm denn nicht geglaubt? Sollen wir aber sagen: von Menschen? Sie fürchteten die Volksmenge. Denn alle meinten, daß Johannes wirklich ein Prophet sei. Und sie antworten und sagen zu Jesus: Wir wissen es nicht. Und Jesus spricht zu ihnen: So sage auch ich euch nicht, in welcher Vollmacht ich diese Dinge tue.


(Kapitel 11, 20 - 33)

Manchmal sollte man bekannte Geschichten so lesen, als kenne man sie noch nicht und als ob ihr Ende vollkommen offen sei. Die altbekannte Jesus-Geschichte mit dem zwangsläufigen Ende in Gewalt und Tod könnte ja so ganz anders ausgehen, wenn nur der Schutz der Volksmenge, die Jesus in unserem Abschnitt umgibt, dauerhaft ausreichen würde, so daß man ihn nicht verhaften kann, auch nicht nachts, auch nicht außerhalb Jerusalems.

Aber es wird so geschehen, man wird ihn draußen vor der Stadt im Garten Gethsemane und in der Nacht verhaften, das steht ihm bevor. Aber - sein Schicksalsweg hält ab heute für einige Tage an, man sieht ihn an einem erhabenen Ort, dem gewaltigen Jerusalemer Tempel, einem Prachtbau der Antike, sieht in souverän.

Es gibt viele glückhafte Szenen in diesen Tagen, in denen das Schicksal Jesu wie in der Schwebe festgehalten scheint. Die Schriftgelehrten werden in ihre Schranken gewiesen, ja, einer von ihnen ist nahe daran, in das Lager Jesu überzulaufen (Kapitel 12,28), viele Lehrfragen werden von Jesus mit starken und weisen Worten geklärt, die historische Rolle Jesu wird in einem eindrucksvollen Bild verdeutlicht.

Aber gerade dieses Bild – die Geschichte von den Pächtern, die dem Besitzer eines Weinberges die Zahlung verweigern und einen Emissär des Besitzers nach dem anderen vertreiben, ja töten (sie wird im gleich folgenden Kapitel 12 erzählt) – macht allen, die es verstehen, deutlich, daß Jesus selbst es ist, der als letzter Bote den Anspruch des Besitzers (Gott) auf die Erträge aus seinem Weinberg (der Welt) erhebt, aber aufgrund der Bosheit der Welt sterben muß.

Aber noch ist es nicht so weit, noch kann Jesus im Schutz der Menge frei und ungehindert reden. Heute entlarvt er die Tempelelite als zwischen politischen Überlegungen hin und her lavierende Schwachköpfe. In den nächsten Tagen klärt er weitere Frage, mit großer Vollmacht. Gingen doch diese Tage nie zu Ende!



Donnerstag, 8. Juli 2010

Nureddin zu "Was will Jesus in Jerusalem?"




Was will Jesus in Jerusalem? Er geht seiner Erfüllung entgegen, knapp gesagt. Er geht seinem sterblichen Ende zu, wohl wissend um dieses Ende, das gleichsam sein Anfang bei seinem geliebten Schöpfer, Gott, bedeutet. Das verwundert einen Muslim in keiner Weise. Für uns Muslime ist der Tod das Tor zum Paradies, eine Erlösung von irdischen Zwängen, von Krankheit oder Alter. Der Tod ist daher nicht etwas, wovor wir uns fürchten müssen.

Für uns Muslime ist das Diesseits ein kleiner Rastplatz auf der langen menschlichen Reise ins Unendliche. Es ist ein unbequemer, kurzer Aufenthalt vor dem Einzug in den richtigen Ort, der einem Palast ähnelt. Es lohnt sich nicht, sich auf diesem kleinen Rastplatz so einzurichten, als würde man für immer dort bleiben.

Es gibt ein Leben nach dem Tod - weshalb sonst sollte unser lieber Schöpfer so vieles erschaffen haben, nur um es wieder verschwinden zu lassen? Was wäre das für eine große Verschwendung und ein sinnloses Ganzes! Da aber schon das kleinste Detail in allen Dingen eine Bedeutung hat, kann nicht das ganze Makrosystem sinnlos sein. Wenn also davon auszugehen ist, dass nicht einmal eine winzige Stecknadel sinnlos ist, wie kann dann angenommen werden, dass das ganze wunderbar harmonisch funktionierende Makrosystem, samt seinen millionenfach eingeschlossenen Mikrosystemen ohne einen höheren Sinn ist? Das wäre nicht logisch und es würde dem Ganzen, dem exakt Funktionierenden, dem nach Maß Erschaffenem widersprechen.

Deshalb ist die Gewissheit bei Gläubigen so stark vorhanden, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Je größer der Glaube an Gott, desto größer der Glaube an das Jenseits und desto größer auch der innere Friede. Diesen Weg können alle Menschen verstehen und ausprobieren.

Bei Propheten, also Menschen die mit Gott sprechen oder eine Botschaft durch Engel erhalten, gibt es noch eine zusätzliche Gewissheit, weil die Propheten nämlich selbst Zeuge des göttlichen Daseins sind. Sie kennen daher weder Furcht noch Tadel auf dem Wege der Erfüllung ihrer Pflicht.

Diese Eigenschaft und weitere Eigenschaften Jesu (Friede sei mit ihm) sind auch für uns Muslime ein Beispiel, dem wir folgen müssen. Mit Sicherheit kann ich deshalb sagen, dass Jesus (FSMI) nicht nur unseren Glauben stärkt, sondern auch unser Handeln im Sinne unseres Glaubens belebt.

Das Handeln im Sinne des Glaubens ist ein wichtiger Beweis für die Qualität und Stärke des Glaubens. In der 114. Sure „Asr“ im Koran heißt es zu einem gotterfüllten Leben sinngemäß, es hat folgende Eigenschaften: zuerst der Glaube, dann der Dienst (Handeln im Sinne Gottes), dann die Geduld und zum Schluss die Gerechtigkeit. Wer diese Eigenschaften für sich umsetzt, der lebt, liebt und wird geliebt im Sinne Gottes.

Ich schaue um mich und sehe viele zeitgenössische „Schriftgelehrte und Templer“. Sie sind Muslime, Christen oder Juden. Sie verbindet ihre äußerliche, künstliche Beteuerung ihres Glaubens. Doch in der Bewährung versagen sie. Sie misshandeln, töten, lügen, diskriminieren, obwohl sie ihren Glauben beteuern. Ich kann Menschen verstehen, die unter dem Eindruck dieses Elends Abstand von der Religion nehmen. Sie sagen, wenn die Religion Menschen zu solchen Schandtaten befähigt, dann möchte ich damit nichts zu tun haben.

Diese Kritik ist berechtigt, jedoch darf nicht die Religion mit diesen Schauspielern, die sich gläubig nennen, verwechselt werden. Es gibt auch wahre Gläubige unter Muslimen, unter Christen und unter Juden. Ihr Leben ist gotterfüllt, weil sie in seinem Sinne handeln, mit Güte, mit Milde und mit Liebe. Selbstlos sind sie, und sie halten die Gunst Gottes für das erstrebenswerteste im Leben. Sie pfeifen auf Rang, Klang, Macht und Geld. Sie wählen wie Jesus (FSMI) ein bescheidenes, einfaches Leben für sich, leben aber für andere ein Leben im Dienste ihrer Mitmenschen.

Sie können es nicht ansehen, wie sich Menschen aufgrund von unbedeutenden Kleinigkeiten anfeinden, wie sie Unrecht tun. Sie wissen, den Geschädigten ergeht zwar im Diesseits Unrecht, aber die Schädiger erwartet dafür eine furchtbare Zukunft im Jenseits. Die Gläubigen sorgen sich oft sogar um die Schädiger und um ihre schreckliche Zukunft. Sie rücken von ihrem eigenen Recht im Gericht ab, damit keiner die Hölle erfährt, auch ihre Widersacher nicht.

Solche und ähnliche Gedanken bringen wahre gläubige Menschen zusammen, im Islam, im Christentum, im Judentum und in den übrigen Religionen. In diesem Sinne hat ein wahres gläubiges Herz mehr gemeinsam mit einem ethisch korrekten Atheisten als mit einem angeblich gläubigem, aber im Kern toten religiösen Menschen. Diese Toten sind verantwortlich dafür, dass sich so viele von Gott abwenden.



Donnerstag, 1. Juli 2010

Was will Jesus in Jerusalem?





Und als sie sich Jerusalem, Betfage und Betanien gegen den Ölberg hin nähern, sendet er zwei seiner Jünger und spricht zu ihnen: Geht in das Dorf, das euch gegenüberliegt! Und sogleich, wenn ihr dort hineinkommt, werdet ihr ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch kein Mensch gesessen hat. Bindet es los und führt es her! Und wenn jemand zu euch sagt: Warum tut ihr dies? so sagt: Der Herr braucht es und sendet es gleich wieder hierher. Und sie gingen hin und fanden ein Fohlen angebunden an der Tür draußen auf dem Weg, und sie binden es los. Und einige von denen, die dort standen, sagten zu ihnen: Was tut ihr, daß ihr das Fohlen losbindet? Sie aber sprachen zu ihnen, wie Jesus gesagt hatte. Und sie ließen sie gewähren. Und sie bringen das Fohlen zu Jesus und legen ihm ihre Kleider auf, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere aber Zweige, die sie auf den Feldern abschnitten; und die Vorangehenden und die Nachfolgenden riefen: Hosanna! Gepriesen sei , der da kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei das kommende Reich unseres Vaters David! Hosanna in der Höhe ! Und er zog in Jerusalem ein, in den Tempel. Und als er über alles umhergeblickt hatte, ging er, da es schon spät an der Zeit war, mit den Zwölfen nach Betanien hinaus.

Und als sie am folgenden Tag von Betanien weggegangen waren, hungerte ihn. Und er sah von weitem einen Feigenbaum, der Blätter hatte, und er ging hin, ob er wohl etwas an ihm fände, und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter, denn es war nicht die Zeit der Feigen. Und er begann und sprach zu ihm: Nie mehr in Ewigkeit soll jemand Frucht von dir essen! Und seine Jünger hörten es.

Und sie kommen nach Jerusalem. Und er trat in den Tempel und begann die hinauszutreiben, die im Tempel verkauften und kauften; und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um. Und er erlaubte nicht, daß jemand ein Gerät durch den Tempel trug. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben: "Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Nationen"? Ihr aber habt es zu einer "Räuberhöhle" gemacht. Und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten hörten es und suchten, wie sie ihn umbringen könnten; sie fürchteten ihn nämlich, denn die ganze Volksmenge geriet außer sich über seine Lehre. Und wenn es Abend wurde, gingen sie zur Stadt hinaus.


(Kapitel 11 1 - 19)

An dieser Stelle kann ich ausnahmsweise einmal aus eigener Anschauung berichten, denn ich habe den Weg von Betanien nach Jerusalem selbst im Jahre 1999 zu Fuß gemacht. Er dauert vielleicht eine Stunde und führt zunächst bergan, hinauf auf den hohen Ölberg, von wo man auf die goldene Kuppel des Felsendoms und den riesigen Tempelplatz hinuntersieht. Von dort fällt der Weg steil ab in das zwischen Tempel und Ölberg gelegene Kidrontal.

An diesem Weg standen also damals die Jerusalemer und winkten ihrem neuen König zu, wie er auf einem bescheidenen Esel heranritt, durch das Tal und dann ein kurzes Stück hinauf durch das hier gelegene (und jetzt zugemauerte) Osttor hindurch und in den Tempelbezirk hinein.

An dieser Stelle sind die Tempelgrenze und die Stadtgrenze identisch, und Jesus müßte jetzt, nach seinem Ritt mitten in dieses strategisch wichtige Gebiet, eigentlich etwas tun, was seine Herrschaft über beides, die religiöse und die weltliche Zentrale der Juden befestigt. Das tut er auch, zumindest in Bezug auf den Tempel, er geht im Tempel umher, betrachtet alles – aber dann geht er wieder hinaus. Er geht zurück nach Betanien, vermutlich in das Haus, das Freunde von ihm dort haben. Auf eine formelle Besetzung der Stadt verzichtet er.

Der Gedanke, daß Jesus die Stadt Jerusalem besetzen könnte, ist Christen so fremd wie kaum etwas Anderes. Und trotzdem ist es vermutlich das, was die jubelnden Menschen eigentlich von ihm erwartet hatten – und sich dann enttäuscht abwandten, als nichts dergleichen geschah. An dieser Stelle scheiden sich also die Erwartungen, welche die Juden an Jesus haben, von dem, was er selbst will und was er den Christen später bedeutet.

Die Muslime und die Christen unterscheidet dagegen eine andere Frage, nämlich ob in Jesus etwas Göttliches aufscheint oder nicht, ob er sozusagen auf natürlichem Wege mit Gott wesensverwandt ist oder nicht, ob er ihn wie ein Sohn vertritt, und nicht nur wie ein Prophet.

Einen Moslem interessiert der innerjüdische Streit über Jesus dagegen wenig. Kann er trotz aller Differenzen zu Juden und Christen aus dem Geschehen in den Tagen vor der Kreuzigung etwas herauslesen, was auch seinen Glauben inspiriert und stärkt?

Nun, ich denke, daß allen drei Religionen eine wichtige Erkenntnis gemeinsam ist, die sich auf den Gottesstaat bezeiht und auf die realen Möglichkeiten für einen solchen Staat hier unten auf der Erde. Unsere gemeinsame Erkenntnis sagt uns: es gibt diesen Staat nicht, wir vermissen ihn schmerzlich. Weder das jüdische Friedensreich eines gerechten Königs Salomo noch die von der Scharia erleuchtete Herrschaft eines weisen Kalifen haben je auf Dauer Bestand gehabt, möglicherweise waren sie sogar immer nur in einem idealisierenden Rückblick vorhanden.

Die Christen haben zögerliche Versuche gemacht, Gottesstaaten aufzubauen, Calvin in Genf, Cromwell in London, extremistische Kleinstaatler wie die Täufer in Münster – aber nichts davon hat mehr als eine Handvoll Jahre überlebt und ist in der Erinnerung der Menschen oft als Schreckensherrschaft übrig geblieben.

Jesus wird im Verhör vor seiner Kreuzigung sagen, mein Reich ist nicht von dieser Welt. Dieses Wort hat eine gute Tradition begründet, aus der heraus Menschen aller Religionen bescheiden geworden sind in ihren Erwartungen an ein Gottesreich auf der Erde. Gott will offenbar, daß wir uns auf der Erde in Anfechtungen bewähren und nimmt deshalb das Unrecht niemals ganz von der Welt weg und schafft keine gerechten und idealen Verhältnisse. Wir sollen am Glauben festhalten, nicht weil um uns herum alles nach dem Willen Gottes geschieht, sondern obwohl es gerade nicht so ist.

So nimmt Jesus also sein Hauptquartier nicht in Jerusalem, sondern in Betanien. Zwar wirft er am nächsten Tag die Händler, die vom Tempeltourismus leben, aus dem Vorhof, aber die Priester entfernt er nicht aus ihren Ämtern. Sein Ziel beschreibt er mit einem Zitat aus dem Propheten Jesaja (56,7):

Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Nationen.

Ich ergänze aus eigener Anschauung von meinem Besuch in Jerusalem: dieses Ziel ist in den letzten Jahren im zum allergrößten Teil friedlichen Zusammenleben der drei Buchreligionen in Jerusalem auf eine eigenartige Weise verwirklicht geworden.