Sonntag, 30. Mai 2010

Berg der Verklärung





Und nach sechs Tagen nimmt Jesus Petrus und Jakobus und Johannes mit und führt sie für sich allein auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen umgestaltet; und seine Kleider wurden glänzend, sehr weiß, so wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann. Und es erschien ihnen Elia mit Mose, und sie unterredeten sich mit Jesus. Und Petrus begann und sagte zu Jesus: Rabbi , es ist gut, daß wir hier sind; und wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine. Er wußte nämlich nicht, was er sagen sollte, denn sie waren voller Furcht. Und es kam eine Wolke, die sie überschattete; und eine Stimme kam aus der Wolke: Dieser ist mein geliebter Sohn, ihn hört! Und plötzlich, als sie sich umblickten, sahen sie niemand mehr bei sich außer Jesus allein.

Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot er ihnen, daß sie niemand erzählen sollten, was sie gesehen hatten, ehe nicht der Sohn des Menschen aus den Toten auferstanden sei. Und sie hielten das Wort fest und besprachen sich untereinander: Was ist das: aus den Toten auferstehen? Und sie fragten ihn und sprachen: Warum sagen die Schriftgelehrten, daß Elia zuerst kommen müsse? Er aber sprach zu ihnen: Elia kommt zwar zuerst und stellt alle Dinge wieder her. Und wie steht über den Sohn des Menschen geschrieben? Daß er vieles leiden und verachtet werden soll. Aber ich sage euch: Auch Elia ist gekommen, und sie haben ihm getan, was sie wollten , so wie über ihn geschrieben steht .

Und als sie zu den übrigen Jüngern kamen, sahen sie eine große Volksmenge um sie her und Schriftgelehrte, die mit ihnen stritten. Und sobald die ganze Volksmenge ihn sah, erstaunte sie sehr; und sie liefen herbei und begrüßten ihn. Und er fragte sie: Worüber streitet ihr mit ihnen? Und einer aus der Volksmenge antwortete ihm: Lehrer, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, der einen stummen Geist hat; und wo er ihn auch ergreift, zerrt er ihn zu Boden, und er schäumt und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich sagte deinen Jüngern, daß sie ihn austreiben möchten, und sie konnten es nicht. Er aber antwortete ihnen und spricht: O ungläubiges Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Bringt ihn zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und als der Geist ihn sah, zerrte er ihn sogleich; und er fiel zur Erde, wälzte sich und schäumte. Und er fragte seinen Vater: Wie lange ist es her, daß ihm dies geschehen ist? Er aber sagte: Von Kindheit an; und oft hat er ihn bald ins Feuer, bald ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Aber wenn du etwas kannst, so habe Erbarmen mit uns und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Wenn du das kannst? Dem Glaubenden ist alles möglich. Sogleich schrie der Vater des Kindes und sagte: Ich glaube. Hilf meinem Unglauben! Als aber Jesus sah, daß eine Volksmenge zusammenläuft, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du stummer und tauber Geist, ich gebiete dir: fahre von ihm aus, und fahre nicht mehr in ihn hinein! Und er schrie und zerrte ihn heftig und fuhr aus; und er wurde wie tot, so daß die meisten sagten: Er ist gestorben. Jesus aber nahm ihn bei der Hand, richtete ihn auf, und er stand auf. Und als er in ein Haus gegangen war, fragten ihn seine Jünger allein: Warum haben wir ihn nicht austreiben können? Und er sprach zu ihnen: Diese Art kann durch nichts ausfahren als nur durch Gebet.


(Kapitel 9, 2 – 29)

Nirgendwo sonst wird Jesus in den Evangelien so wunderbar und groß beschrieben wie hier. Und trotzdem liest man aus dem Kapitel eigentlich mehr über die Schwäche der Jünger als über die Macht und Kraft ihres Meisters.

Jesus hatte ja bereits in seiner ersten Rede gesagt, daß die gute Saat des Göttlichen in ständiger Konkurrenz mit dem Irdischen steht und jederzeit untergehen kann im Alltäglichen. Die Jünger erleben nach dem Abstieg vom mystischen Berg der Verklärung eine herbe Enttäuschung im Tal des Alltags: sie können einen Kranken nicht heilen und verwickeln sich in ihrem Mißerfolg dann auch noch in ein nutzloses Gezänk mit den Schriftgelehrten, ihren religiösen Gegnern.

Sie hören, wie Jesus wütend wird und sagt ich halte es mit euch nicht mehr aus!, sie sehen, wie er dann selbst die Arbeit übernimmt und den Kranken heilt. In diesem Moment ist dann aber die gewaltige Wirkung der Begegnung mit Mose und Elia, das Hören der Stimme aus der Wolke vergessen. Der graue Alltag hat die Jünger wieder.

Was haben sie falsch gemacht? Sie haben geglaubt, man könne das Gotteserleben festhalten wie einen sicheren Schatz, ein Guthaben auf der Bank, wie wir heute sagen würden. Petrus will Hütten bauen für die auf dem Berg erscheinenden Propheten, sie sollen hierblieben, in Reichweite der Jünger, zu ihrer Verfügung.

Das Göttlich gibt sich den Menschen aber nicht so, daß sie darüber verfügen können. Offenbarungen sind flüchtig, der Lauf der gewöhnlichen Dinge legt sich wie ein grauer Schleier über ihren Nachglanz. Nach christlicher Überzeugung ist es das Geheimnis von Jesus, daß sich in ihm Göttliches und Menschliches zu einer lebensfähigen Einheit verbinden. Sein Glanz vergeht deshalb nicht wie der Glanz geistlicher Höhepunkte, weil er sich ganz tief und fest mit dem menschlichen Leben verbunden hat, am Ende sogar durch den Tod.

Mir ist bewußt, daß sich diese Gedanken nur in einem sehr übertragenen Sinn für einen Moslem erschließen lassen. Die Wege des Verstehens gehen hier auseinander. Sie treffen sich am Ende allerdings wieder, wenn Jesus das Geheimnis eines gotterfüllten Lebens, eines Lebens, das Wunder bewirken kann, in den schlichten Satz kleidet: wenn nichts mehr wirkt, hilft nur eines, das Gebet.




Freitag, 28. Mai 2010

Nureddin zu "Verstehen und nicht verstehen"




Es ist verblüffend und schön, zu sehen, wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen christlichen und islamischen Geschichten gibt. In den letzten Kapiteln habe ich immer wieder mir bekannte Geschichten gefunden, nur mit dem Unterschied, dass die Zeit und die Personen andere waren. Im Prinzip sind aber die Personen und die Zeit zweitrangig, wenn es um die Bedeutung geht. Die Geschichten sagen uns, woher wir kommen und wohin wir gehen werden. Kurzum: sie sprechen vom Sinn des Lebens.

Die Personen sind natürlich ebenfalls wichtig, und sie weisen in christlichen und islamischen Geschichten viele Ähnlichkeiten auf. Es gibt in beiden einen Aufklärer mit einer göttlichen Mission, es gibt Leute, die ihm glauben und sich ihm anvertrauen, und es gibt wiederum solche, die ihm nicht glauben und ihn verspotten, verletzen oder ihn gar umbringen wollen. Diese Geschichte setzt sich bis in unsere heutige Zeit fort.

Sowohl Jesus als auch Mohammed (Friede sei mit beiden) setzen ihr Leben aufs Spiel für ihre Mission, die ihnen Gott gegeben hat. Sie verkünden, sie erklären im Namen Gottes und sie sind bereit, alle Konsequenzen für ihre Mission zu tragen, auch bis zum Äußersten. Welche Energie steckt dahinter, dass Menschen zu solch einer Wahl befähigt werden! Eins scheint sicher: diese Wahl muss es wert sein, sie muß mehr einbringen als das Kostbarste, mehr als das Leben. Allein die Bereitschaft zu dieser Wahl scheint mir eindrucksvoll und aussagekräftig genug zu sein, um die Glaubwürdigkeit der Mission zu untermauern.

Es gibt noch andere wichtige Figuren, die uns als Christen und Muslime verbinden. Da sind die Jünger Jesu (FSMI) und die Sahabiten, die Jünger Mohammeds (FSMI), die wir in unsere Herzen geschlossen haben. Da sind aber auch die Pharisäer und die Muschriken, ungläubige Zeitgenossen Mohammeds (FSMI)), beides Menschen, die nicht verstehen wollen. Diese und noch viele andere Gemeinsamkeiten reichen bis in unsere Zeit und ermahnen die Christen und Muslime zur Zusammenarbeit. Die Diskussionspunkte sind zu vertagen, weil die gewaltige Aufgabe, den Weltfrieden herzustellen und einen inneren Frieden unter allen Menschen zu stiften, sehr viel wichtiger sind.

Der Weltfrieden und der innere Frieden der Menschen wird durch Probleme gefährdet, die uns gemeinsam und in gleicher Weise betreffen. Es sind Probleme wie Unglauben, Werteverfall, Fanatismus usw. aber auch globale, aktuell-politische Probleme wie Terror, Rassismus, Umweltzerstörung, und sie müssen auf eine neue Weise angepackt werden. Unsere globalisierte Zeit braucht eine neue Denkweise. Diese neue Denkweise muß auf Dialog, Toleranz und Liebe basieren und in gleicher Weise auf der Versöhnung von Spiritualität und Wissenschaft. Wir erwarten eine neue Zeit des Fortschritts sowohl auf geistiger, als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Die Brotvermehrung, die Jesus (FSMI) bewirkt, kennen Muslime von Mohammed (FSMI) ebenfalls. Deshalb glauben wir natürlich dieser Geschichte aus dem Evangelium. Der gemeinsame Glaube an die Kraft und Macht Gottes verbindet uns Muslime mit den Christen. Die Atheisten sehen die Wunder natürlich anders. Für sie vollzieht sich alles nach den Regeln der Natur. Doch man muß sie fragen: wie ist die Natur entstanden?

Die Atheisten vergessen, dass ein logisches System nicht zufällig entstehen kann und nicht ohne einen Meister. Keine Stecknadel kann von sich aus entstehen, auch nicht nach Milliarden von Jahren. Wie soll das allumfassende, exakte Regelwerk, das wir Natur nennen, zufällig und alleine von sich aus entstanden sein? Es reichte weder die Zeit, noch der Platz für die dafür nötige gewaltige Masse an intelligenten Prozessen. Etwas Totes, etwas Unintelligentes kann nicht lebendige, intelligente Individuen hervorbringen.

Die Logik widerlegt die "Naturalisten", wie ich sie einmal nennen will. Bald werden gläubige Wissenschaftler die Logik mit ihren Experimenten untermauern. Zur Zeit vermischt sich leider noch der Unglaube der ideologistischen Wissenschaftler mit der Wissenschaft.

Wir Muslime und Christen sind uns sicher und haben es leichter. Wir glauben, dass die Natur einen Erbauer und Verwalter hat, den wir Gott nennen. Er hat die Schöpfung zum Zeitpunkt Null begonnen, und die Prozesse der Schöpfung dauern weiter an. Gott erschafft ununterbrochen bis zu dem Punkt X, an dem es ein „Zurückrollen“ des Films gibt. Gott ist überall existent und ist überall indirekt sichtbar, in der Wolke, in der Blume, in uns.

Er will allerdings im Diesseits nicht direkt sichtbar sein. Er waltet hinter einem Vorhang. Genau wie Staatsoberhäupter ihre Minister, Sekretäre usw. haben, verwendet Gott die Naturgesetze für sich und bleibt selbst unsichtbar. Es wäre nicht richtig und auch nicht möglich, dass man, wie die Naturalisten es tun wollen, alles und also auch Gott mit den Augen sieht.

Man sieht eben nicht alles mit den Augen. Das Auge sieht ja etwa auch nur einen Bruchteil des Lichts. Infrarot, Ultraviolett bleiben dem Auge verborgen und die Radiowellen, Röntgenstrahlen etc. ebenfalls. Auch Bakterien und Viren sehen wir auf Grund ihrer geringen Größe nicht. Umgekehrt sehen wir auch riesige Sterne, Galaxien etc. nicht. Aber wir vertrauen den Wissenschaftlern, die diese entdeckt und erforscht haben, dass es sie gibt.

Die Liebe sehen wir ebenfalls nicht, aber es gibt sie. Die Gefühle in uns sehen wir nicht, aber es gibt sie. Wir wissen es alle. Gott sehen wir nicht, gibt es deshalb keinen Gott? Man muß fragen: was verpassen die Naturalisten nicht alles, wenn es schließlich doch einen Gott gibt? Was verlieren dagegen die Gläubigen, wenn es keine Gott gibt? Der Verlust des Naturalisten wäre sicher größer.

Alles spricht dafür, dass es einen Gott gibt. Es ist und bleibt vernünftig, an eine höhere Macht wie Gott zu glauben, sonst wird alles bedeutungslos. Nur mit Gott bekommt alles einen Sinn. Wenn wir tief in uns blicken und ehrlich sind, werden wir spüren, dass wir einen Drang haben, an irgend etwas zu glauben. Warum verspüren wir einen Drang, wenn es keinen Gott gibt? Ich glaube: Gott gab uns diesen Drang. Ich glaube und sehe, dass es einen Platz für den Glauben an Gott in uns gibt.



Donnerstag, 20. Mai 2010

Verstehen und nicht verstehen




Als in jenen Tagen wieder eine große Volksmenge da war und nichts zu essen hatte, rief er seine Jünger zu sich und spricht zu ihnen: Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen; und wenn ich sie hungrig nach Hause entlasse, so werden sie auf dem Weg verschmachten; und einige von ihnen sind von weit her gekommen. Und seine Jünger antworteten ihm: Woher wird jemand diese hier in der Einöde mit Brot sättigen können? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie aber sagten: Sieben. Und er gebietet der Volksmenge, sich auf der Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie vorlegten; und sie legten der Volksmenge vor. Und sie hatten einige kleine Fische; und er segnete sie und ließ auch sie vorlegen. Und sie aßen und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken übrigblieb, sieben Körbe. Es waren aber etwa viertausend; und er entließ sie.

Und er stieg sogleich mit seinen Jüngern in das Boot und kam in die Gegend von Dalmanuta. Und die Pharisäer kamen heraus und fingen an, mit ihm zu streiten, indem sie von ihm ein Zeichen vom Himmel begehrten, um ihn zu versuchen. Und er seufzte auf in seinem Geist und spricht: Was begehrt dieses Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich, ich sage euch: Nimmermehr wird diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden! Und er ließ sie stehen , stieg wieder ein und fuhr an das jenseitige Ufer. Und sie vergaßen, Brote mitzunehmen, und außer einem Brot hatten sie nichts bei sich auf dem Boot. Und er gebot ihnen und sprach: Seht zu, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes! Und sie überlegten miteinander: Das sagt er, weil wir keine Brote haben. Und er erkannte es und spricht zu ihnen: Was überlegt ihr, weil ihr keine Brote habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr nicht? Habt ihr euer Herz verhärtet? Augen habt ihr und seht nicht? Und Ohren habt ihr und hört nicht? Und erinnert ihr euch nicht, als ich die fünf Brote unter die Fünftausend brach, wie viele Handkörbe voll Brocken ihr aufgehoben habt? Sie sagen zu ihm: Zwölf. Als ich die sieben unter die Viertausend brach , wieviele Körbe voll Brocken habt ihr aufgehoben? Und sie sagen: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Versteht ihr noch nicht?

Und sie kommen nach Betsaida; und sie bringen ihm einen Blinden und bitten ihn, daß er ihn anrühre. Und er faßte den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorf hinaus; und als er in seine Augen gespien und ihm die Hände aufgelegt hatte, fragte er ihn: Siehst du etwas? Und er blickte auf und sagte: Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen. Dann legte er wieder die Hände auf seine Augen, und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar. Und er schickte ihn nach seinem Haus und sprach: Auch nicht ins Dorf sollst du gehen!

Und Jesus und seine Jünger gingen hinaus in die Dörfer von Cäsarea Philippi. Und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Was sagen die Menschen, wer ich bin? Sie aber antworteten ihm und sagten: Johannes der Täufer; und andere: Elia; andere aber: einer der Propheten. Und er fragte sie: Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin? Petrus antwortet und spricht zu ihm: Du bist der Christus. Und er redete ihnen ernstlich zu, daß sie mit niemandem über ihn reden sollten.


Und er fing an, sie zu lehren: Der Sohn des Menschen muß vieles leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort mit Offenheit. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihn zu tadeln. Er aber wandte sich um und sah seine Jünger und tadelte Petrus und sagte: Geh weg hinter mich, Satan! Denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist. Und als er die Volksmenge samt seinen Jüngern herzugerufen hatte, sprach er zu ihnen: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten. Denn was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und sein Leben einzubüßen? Denn was könnte ein Mensch als Lösegeld für sein Leben geben? Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes in Kraft haben kommen sehen.

(Kapitel 8, 1 – 38 und 9, 1)


In diesem Kapitel taucht das Problem der verständnislosen Zuhörer erneut auf, und es wird diesmal deutlich, daß selbst die Jünger nicht sicher sein können, einen festen und dauerhaften Platz auf der Seite der Verstehenden garantiert zu haben. Sie haben zwar zwei große Brotwunder miterlebt, schlagen sich dann aber doch beinahe auf die Seite der Pharisäer, die ihren Unglauben und Haß hinter der Forderung verstecken, Jesus möge ein weiteres Zeichen seiner göttlichen Sendung abliefern. Man kann an dieser Stelle die schmerzhafte Erkenntnis auch für sich selbst und sein eigenes Leben von Jesus übernehmen: auch Zeichen helfen nicht, wenn der Unglaube sich erst einmal eingenistet hat.

Wieviel haben die Jünger bis jetzt wirklich verstanden? Aus diesem Kapitel wird es nicht eindeutig klar. Einerseits begründet Petrus mit seinem klaren Bekenntnis: Du bist der Gesalbte, der Messias (hebräisch), der Christus (griechisch), sicherlich seinen natürlichen Anspruch auf die Leitung der ersten Kirche. Andererseits muß er sich als Satan tadeln lassen, weil er Jesus widerspricht als dieser hier zum ersten Mal von seinem zukünftigen Martyrium redet.

Die Christen haben sich zu allen Zeiten in dem Bild der unsicheren Jünger wie in einem Spiegel wiedergefunden. Es ist ein realistisches Bild, es gilt bis in unsere Tage hinein. Was kann man tun, um nicht auf ewig selbst zu den Zweiflern und Wacklern zu gehören? Vielleicht ist es kein Zufall, daß am Ende des Kapitels die großen und schweren Worte von dem Leben stehen, das sich selbst verliert, um auf diesem Weg gerettet zu werden. Wenn es in der Geschichte immer wieder starke Zeichen von Glaubensfestigkeit und christlichem Mut gegeben hat, dann hat sich beides oft aus dieser Quelle und den Worten gespeist, die Martin Luther auf klassische Weise übersetzt hat:

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Ich denke, dieses Jesuswort kann sich auch ein Muslim zu eigen machen. Er kann es selbst dann, wenn er nicht glauben möchte, daß Jesus hier sein eigenes Leiden angekündigt hat. Nach islamischem Verständnis ist Jesus ja nicht wirklich gestorben, sondern in den letzten Stunden der Kreuzigung von einem Vertreter ersetzt worden.

Der Christ ist hier vielleicht in der glücklicheren Position, weil er beides für wahr halten darf: daß der Glaube auf dem Weg über den Verlust gewonnen werden kann, und daß Jesus diesen Weg des Verlustes selbst beispielhaft vorangegangen ist.



Dienstag, 18. Mai 2010

Nureddin zu "Ein Sinneswandel im Libanon"




Eine Phönezianerin bittet Jesus (Friede sei mit ihm) um Hilfe und er folgt ohne auszugrenzen. Vermutlich hatte das Kind dieser Frau eine Art von Epilepsie. Durch seine besondere Gabe in Bezug auf Kranke heilt Jesus (FSMI) ein weiteres mal - um zu helfen, zum anderen aber auch, um zum Nachdenken anzuregen.

Wunder sollen die Menschen zum Forschen anregen. Die Menschen sollen Zusammenhänge herausfinden, analysieren und das Wesen der Wunder mit wissenschaftlicher Methodik herausarbeiten, um die gewonnenen Erkenntnisse im Dienst an der Menschheit anzuwenden.

Auf diesem Pfad sind viele islamische Wissenschaftler gegangen und haben so besonders im Mittelalter viele Entdeckungen gemacht. Ihre Verdienste haben geholfen, im Osten wie im Westen Hochkulturen aufzubauen, und das in einer Zeit, als der große Rest unseres Kontinents Europa noch für lange Zeit im Nebel des Mittelalters Hexen verbrannt und Alchimisten gekreuzigt hat.

Sowohl im heutigen Andalusien, als auch im Osten, in Buchara, Bagdad, Damaskus oder Isfahan, findet man heute noch Baudenkmäler, die als Zeugen dieser Zeit zu bewundern sind. Auch in meiner Geburtstadt Kirşehir im zentralen Anatolien gibt es einen alten Bau, über den ich mich schon als Kind gewundert habe. Dieser Bau wird gegenwärtig als Gotteshaus benutzt, diente in Vorzeiten aber als eine Medrese, eine alte Universität, und zwar für Astronomie.

In dem Gewölbehimmel dieses Baudenkmals ist eine gläserne Kuppel eingebaut, die von einem physikalisch exakt ausgestalteten Metallraster durchsetzt ist. Dieser Himmel diente damals als Meßstation für den Lauf der Gestirne. Am Eingang des Gebäudes sind links und rechts jeweils Steinfiguren sichtbar, und diese verkörpern eine Fiktion der Wissenschaftler der damaligen Zeit, die voraussagten, daß einst Menschen mit hierfür konstruierten Baukörpern ins Weltall gelangen werden. Das beeindruckende ist, daß die Steinfiguren in Kirşehir exakt so aussehen wie unsere modernen Raketen. Das Gebäude samt den Steinfiguren wurde um das Jahre 1150 n. Chr. errichtet. Wie gesagt, Wunder sollen auch zum Forschen anregen.

Um nun auf die Bibelstelle zurückzukommen - meiner Meinung nach meint Jesus (FSMI) mit

Laß zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.

nicht die anderen Menschen, die Nicht-Juden. Er will lediglich ausdrücken, daß er die Mahlzeit zu Ende bringen lassen will, damit das kostbare und knappe Essen den Menschen zuteil wird und nicht den Hunden. Die Hunde können sich von den Resten ernähren.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jesus (FSMI) in irgend einer Weise verletzend war. Wenn diese Stelle im Christentum so verstanden wird, ist davon auszugehen, daß sich auch hier ein Fehler eingeschlichen ist. Ein Prophet wie Jesus (FSMI) kann nicht außerhalb von Gottes Wunsch und Wille reden und handeln. Er kann nicht ausfallend sein, wie man an dieser Stelle von ihm denken wollte. Auch wenn er als Prophet nur zu den Juden gesandt wurde, ist er immer gewillt, sein Leben im Dienste und unter der Gunst Gottes zu verbringen. Deshalb ist er der Prophet von fast 2 Millarden von Christen und etwa 1,5 Millarden von Muslimen.

Wir Muslime glauben, daß Jesus (FSMI) und andere Propheten zu bestimmten Stämmen und Völkern gesandt worden sind, aber Mohammed (FSMI) ist als der letzte Prophet allen Menschen gesandt worden. Mohammed (FSMI) ist der Prophet aller Menschen bis zum Jüngsten Tag.

Gott verfährt immer gerecht. Das Leben besteht nicht nur aus dem Leben in dieser Welt. Wenn Gott Propheten beauftragt hat, bestimmte Völker aufzuklären, so heißt das nicht, daß er die anderen Völker ausspart. Im Gegenteil, eine Lektion braucht ein Volk, das aufgrund seiner Fehler diese Lektion nötig hat, entsprechend haben die anderen Völker, die weniger Propheten erhalten haben, auch vorher weniger Fehler begangen. Die Juden gelten im Alten Testament als ein Volk, das immer wieder vom Pfad Gottes abkommt. Vielleicht war das der Grund für das Erscheinen der vielen Propheten unter den Juden.

Wir Muslime glauben, daß kein Volk ohne einen Propheten geblieben ist. In den Zeiten, die zwischen dem Auftreten der einzelnen Propheten lagen, werden die Menschen nur in Bezug auf das zur Rechenschaft gezogen, was sie von Gott wissen. Gott wird kein Volk zu Grunde richten, ohne zuvor einen Ermahner geschickt zu haben. In Israel gibt es eine Häufung von Propheten nur aus dem bereits angesprochenen Grund, und auch deshalb, weil Israel zu dieser Zeit in einer der bevölkerungsreichsten und bedeutendsten Gegenden der Welt lag. Von einer Bevorzugung dieses Volkes oder gar von Ungerechtigkeit kann also keine Rede sein, Gott verhüte.

Gott hat für alle seine Propheten eine besondere Anrede. Wir Muslime kennen einige davon. So ist etwa Abraham (FSMI) der Freund Gottes, Jesus (FSMI) ist Geist Gottes und Mohammed (FSMI) ist der Liebling Gottes. Ich vermute, daß der Begriff Geist Gottes die Phantasien der Christen, was die Gottheit Jesu (FSMI) betrifft, zum Übertreiben gesteigert hat.




Dienstag, 11. Mai 2010

Ein Sinneswandel im Libanon





Von dort aber brach er auf und ging weg in das Gebiet von Tyrus; und er trat in ein Haus und wollte, daß niemand es erfahre; und er konnte nicht verborgen sein. Aber sogleich hörte eine Frau von ihm, deren Töchterchen einen unreinen Geist hatte, kam und fiel nieder zu seinen Füßen; die Frau aber war eine Griechin, eine Syro-Phönizierin von Geburt; und sie bat ihn, daß er den Dämon von ihrer Tochter austreibe. Und er sprach zu ihr: Laß zuerst die Kinder satt werden, denn es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen. Sie aber antwortete und spricht zu ihm: Ja, Herr; auch die Hunde essen unter dem Tisch von den Krumen der Kinder. Und er sprach zu ihr: Um dieses Wortes willen geh hin! Der Dämon ist aus deiner Tochter ausgefahren. Und sie ging weg in ihr Haus und fand das Kind auf dem Bett liegen und den Dämon ausgefahren.

Und er verließ das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Zehnstädtegebiet. Und sie bringen einen Tauben zu ihm, der mit Mühe redete, und bitten ihn, daß er ihm die Hand auflege. Und er nahm ihn von der Volksmenge beiseite, legte seine Finger in seine Ohren und berührte mit Speichel seine Zunge; und er blickte zum Himmel, seufzte und spricht zu ihm: Hefata! Das ist: Werde geöffnet! Und sogleich wurden seine Ohren geöffnet, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, daß sie es niemand sagen sollten. Je mehr er es ihnen aber gebot, desto mehr machten sie es über alle Maßen bekannt; und sie gerieten in höchstem Maß außer sich und sprachen: Er hat alles wohlgemacht; er macht sowohl die Tauben hören als auch die Stummen reden.

(Kapitel 7, 24 - 37)


Diese Geschichte spielt als einzige von allen Jesusgeschichten außerhalb der Grenzen des alten Israel, und zwar im heutigen Libanon. Sie ist eine von meinen liebsten Geschichten, weil sie eine Person ins Spiel bringt, um die es mir, man möge mir verzeihen, doch in allen Geschichten immer wieder geht: mich selbst.

Ohne die libanesische Frau und ihr freies Zugehen auf Jesus wäre die Botschaft von ihm - menschlich gesprochen - niemals zu einem anderen Volk in der Welt als nur zu den Juden gekommen. Offenbar war ja die internationale Ausweitung des Gottessegens gar nicht geplant. Denn wenn man Jesu ablehnende, ja schroffe Worte vom Beginn der Unterhaltung uneingeschränkt gelten läßt, und es gibt keinen Grund, sie nicht uneingeschränkt gelten zu lassen, dann hatte seine Sendung in die Welt nichts an dem ursprünglichen Plan Gottes geändert, sein Handeln nur an einigen wenigen Menschen zu demonstrieren, eben an den Mitgliedern des kleinen Volkes der Juden.

Dieser Plan erscheint uns heute grausam und ungerecht. Und es gab auch schon im Alten Testament Beispiele dafür, daß sich die Mitglieder anderer Völker danach drängten, den Segen Gottes zu erwerben, und das hieß in vielen Fällen: zu erschleichen. So wird etwa von der Landnahme des Volkes Israel berichtet, daß Gott dem aus Ägypten einwandernden Volk streng geboten hatte, die anderen in Kanaan siedelnden Völker vollständig auszurotten. Nachdem die ersten militärischen Auseinandersetzungen mit der Urbevölkerung den Vernichtungswillen und die Überlegenheit der Israeliten gezeigt hatten, griffen die Bewohner der kanaanitischen Stadt Gibeon zu einer List. Sie zogen den anrückeden Israeliten in abgewetzten Kleidern entgegen und gaben vor, ein aus fernen Landen angereistes Volk zu sein, das ebenfalls JHWH dienen wolle. Die Israeliten schlossen daraufhin einen Bund mit den Gibeonitern, den sie auch einhielten, als wenig später die Täuschung erkannt wurde*.

Auch im späteren Verlauf der Geschichte Israels gelang es immer wieder einzelnen Personen, auf den fahrenden Wagen des mit dem Gottesvolk ziehenden Segens aufzuspringen. In unserer Geschichte ist dies jetzt die Frau aus dem Libanon. Allerdings geht sie einen schweren Weg, denn Jesus ist im Gespräch mit ihr auf eine kaum erträgliche Art und Weise beleidigend. Man beginnt an der Vorstellung des Korans (die sich hier, in Bezug auf Jesus, mit der Vorstellung der Bibel deckt) zu zweifeln, daß ein Prophet wie Jesus ohne Sünde lebt, so hart und verletzend ist seine Rede.

Jesus sagt offen und direkt: das himmlische Brot, welches auf dem Weg über die jüdische Religion und auch in seiner eigenen Person den Menschen angeboten wird, ist nur für die am Tisch sitzenden Kinder, also für die Juden, gedacht. Der Rest der Welt findet sich in Jesu Worten erniedrigt und beleidigt als Hunde unter dem Tisch wieder, vom Brotverzehr ausgeschlossen.

Die Frau aus dem Libanon hat die wundersame Größe, sich von dieser Beleidigung nicht zurückschrecken zu lassen. Aber die Krümel...? Das fragt sie Jesus - und gewinnt mit ihrer Beharrlichkeit und auch mit einer Portion Witz in diesem Moment seine Zuneigung und damit die Garantie für die Heilung ihrer Tochter.

Die Botschaft dieser Geschichte findet sich häufiger im Neuen Testament: einen starken Glauben findet man oft bei Menschen, von denen man es nicht erwartet hat, und umgekehrt gibt es bei den Frommen viel Unglaube.

Und noch eine andere Botschaft kann man lesen, gewissermaßen zwischen den Zeilen: auch für Jesus ist das Reich Gottes oft wie eine heranwachsende Saat, von deren Entwicklung er offenbar selbst überrascht werden kann.

Viele Christen stellen sich Jesus anders vor, fast allwissend, ein geistbegabter Mensch, dessen inneres Programm ihm bereits vollkomen klar und präsent war, bevor er den ersten Schritt in die Öffentlichkeit tat. Mir ist dagegen mit zunehmendem Alter der Jesus immer lieber geworden, dessen menschliche Charakterzüge ihn gelegentlich auch ungewiß und vielleicht sogar zweifelnd machen können.

In dieser Szene gibt er jedenfalls das alte Programm auf, das sich nur auf das Volk Israel konzentriert, und öffnet sein Konzept für die ganze Welt.

Und damit auch für mich. Preis sei Gott!


* geschildert im Buch Josua, Kapitel 9




Montag, 10. Mai 2010

Nureddin zu "Ein falsches Opfer"




Beim Lesen dieses Kapitels schreit wieder mein muslimisches Herz, und diesem zollt mein Gesundheitsmannsherz Beifall: Das hätte Jesus (Friede sei mit ihm) so nicht gesagt!

Jesus (FSMI) hätte niemals etwas Schlechtes für Gut erklärt. Er hätte nicht, wie in diesem Abschnitt berichtet, die Unreinheit für gut erklärt. Und er hätte nicht etwas Richtiges für falsch erklärt, nur weil das Richtige ausnahmsweise einmal von den Pharisäern und Schriftgelehrten kam. Er wäre ganz sicher und unbedingt auf der Seite des Richtigen gewesen, selbst wenn es auf der Seite seiner Gegner war.

Propheten werden durch Gott stets zum Guten geführt. Aus ihrem Mund hört man nur das Richtige. Sie setzen Maßstäbe für gutes Benehmen und richtiges Verhalten in jeder Hinsicht, sie sind Revolutionäre für das Gute, gegen alles Schlechte. Sie sind zwar biologisch und soziologisch gesehen Menschen wie alle anderen Menschen auch, sie unterscheiden sich aber von ihnen durch ihre Unfehlbarkeit, weil sie unter dem besonderem Schutz Gottes stehen.

Sie sollen als Verkünder der Worte Gottes selbst als Person glasklar sein, damit sie die Botschaft unverfälscht wiedergeben. Ihr Leben ist in jeder Hinsicht ein fehlerfreier Raum, es ist das Maß für alle übrigen Menschen, nach dem man sich richten kann oder sogar richten muss, wenn man im Diesseits und im Jenseits unter den Glücklichen sein will. Das Handeln der Propheten würde keinem wissenschaftlichen Gesetz und keinem religiösen Gesetz Gottes widersprechen, es sei denn das Handeln ist ein Wunder, wie in vorigen Kapiteln erwähnt.

Aber in dieser Bibelstelle steht, dass Jesus (FSMI) Menschen zu einer Handlung aufruft, die im Widerspruch zu allen Reinheitsgeboten von Religionen und zu allen wissenschaftlichen Hygieneerkenntnissen steht:

Begreift ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht verunreinigen kann? Denn es geht nicht in sein Herz hinein, sondern in den Bauch, und es geht heraus in den Abort. Damit erklärte er alle Speisen für rein.

Was ist mit den Viren, Bakterien und anderen mikroskopisch kleinen Krankheitserregern? Wir Menschen müssen sehr wohl darauf achten was wir essen und was nicht. Und wir müssen viele andere Hygienemaßnahmen ergreifen, damit unser Leben vor Krankheiten geschützt wird.

Nicht nur Religionen, sondern alle fortschrittlichen Gesellschaften haben erkannt, dass Hygiene für die Gesundheit eine ganz erhebliche Rolle spielt. Sowohl die Religion vor dem Christentum, als auch die aktuellen danach kennen viele Gebote zur Reinigung. Bis ins Detail werden viele Einzelheiten im täglichen Leben nach diesen Kriterien geregelt. Sowohl die Juden, als auch die Muslime handeln in ihren Religionen nach diesen Prinzipien.

Wieso sollte Gott genau dem Christentum, das zwischen dem Judentum und dem Islam auf die Welt gekommen ist, etwas Gegenteiliges gebieten? Das erscheint mir im Widerspruch zur Chronologie der Offenbarung der Gottesgebote zu stehen.

Es gibt im Islam viele Hinweise zur Hygiene. Im Koran heißt es in Sure 2/222:

Gott liebt die Reumütigen und die sich reinigen.

In einem Hadith heißt es sogar:

Die Hälfte der Religion ist die Hygiene.

So dürfen wir Muslime bei unseren fünfmaligen Pflichtgebeten nicht vor Gott treten, bevor wir die wichtigsten Körperteile, wie Gesicht, Hände und Füße gewaschen haben. Auch das heilige Buch dürfen wir nur anfassen, wenn wir in gleicher Weise gereinigt sind. Unser Prophet hatte immer ein Miswak dabei, eine Art Zahnbürste, und bürstete sich damit mehrmals täglich die Zähne. Der Koran kennt viele Verse in dieser Hinsicht und legt großen Wert auf die Hygiene. Nach islamischem Glauben stehen die Gebote Gottes nicht im Widerspruch zur Wissenschaft.

Auch die in diesem Abschnitt erörterte Beziehung zwischen Heuchelei und äußerlicher Reinheit muß meiner Meinung nach sehr kritisch betrachtet werden. Natürlich ist Heuchelei auch uns Muslimen als eine große Sünde bekannt. Vermutlich haben die Pharisäer und die Juden tatsächlich Heuchelei betrieben, und Jesus (FSMI) hält das hier als Sünde fest und warnt die Gläubigen davor. Aber was das mit Hygiene zu tun hat und warum Jesus (FSMI) hier die Gläubigen zur Unreinheit aufruft, bleibt meiner Meinung nach fragwürdig.

Das Wort Korban hat mich in diesem Zusammenhang überrascht. Es ist mit dem islamischen Wort für Opfer identisch. Es kommt vom arabischen Wort Qurbiyyat was Nähe bedeutet. Mit dem vollbrachten Kurban (Opfer) möchte man die Nähe zu Gott erreichen.

Es heißt im Koran in der Sure 22/34:

Weder das Blut noch das Fleisch eurer Opfer wird Gott erreichen. Sondern nur eure aufrichtige Ehrfurcht.

Die Opfertradition geht auf den gemeinsamen Propheten von Juden, Christen und Muslimen zurück, auf Abraham, der ein Widder opfern sollte. Die Araber benutzen das Wort Korban oder Kurban eher selten, aber im türkischsprachigen Raum hat sich das Wort etabliert. Ich sehe darin wieder einmal eine Brücke zwischen dem Christentum und dem Islam!




Montag, 3. Mai 2010

Ein falsches Opfer





Und es versammeln sich zu ihm die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten, die von Jerusalem gekommen waren; und als sie einige seiner Jünger mit unreinen, das ist ungewaschenen, Händen Brot essen sahen - denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie sich nicht sorgfältig die Hände gewaschen haben, indem sie die Überlieferung der Ältesten festhalten; und vom Markt kommend , essen sie nicht, wenn sie sich nicht gewaschen haben; und vieles andere gibt es, was sie zu halten übernommen haben: Waschungen der Becher und Krüge und Kupfergefäße - fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: Warum leben deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen Händen? Er aber sprach zu ihnen: Treffend hat Jesaja über euch Heuchler geweissagt, wie geschrieben steht: "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren." Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest. Und er sprach zu ihnen: Trefflich hebt ihr das Gebot Gottes auf, damit ihr eure Überlieferung haltet. Denn Mose hat gesagt: "Ehre deinen Vater und deine Mutter!" und: "Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben." Ihr aber sagt: Wenn ein Mensch zum Vater oder zur Mutter spricht: Korban - das ist eine Opfergabe - sei das, was dir von mir zugute gekommen wäre, laßt ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun, indem ihr das Wort Gottes ungültig macht durch eure Überlieferung, die ihr überliefert habt; und ähnliches dergleichen tut ihr viel.

Und als er die Volksmenge wieder herbeigerufen hatte, sprach er zu ihnen: Hört mich alle und versteht! Da ist nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingeht, das ihn verunreinigen kann, sondern was aus dem Menschen herausgeht, das ist es, was den Menschen verunreinigt.

Und als er von der Volksmenge weg in ein Haus eintrat, befragten ihn seine Jünger über das Gleichnis. Und er spricht zu ihnen: Seid auch ihr so unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht verunreinigen kann? Denn es geht nicht in sein Herz hinein, sondern in den Bauch, und es geht heraus in den Abort. Damit erklärte er alle Speisen für rein. Er sagte aber: Was aus dem Menschen herauskommt, das verunreinigt den Menschen. Denn von innen aus dem Herzen der Menschen kommen die bösen Gedanken hervor: Unzucht, Dieberei, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Neid , Lästerung, Hochmut, Torheit; alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen.


(Kapitel 7, 1 - 23)

In diesem Abschnitt gibt es erstmals Spuren einer persönlichen Handschrift des Autors. Er erklärt in einem längeren Einschub - denn die Pharisäer … – seinen Zuhörern, was ein Pharisäer ist. Er tut es auf eine simple, praktische Art und Weise, wenn sie vom Markt kommen, tun sie das und das. Wir hätten es heute gerne etwas Lexikalischer, dann müßte er so etwa schrieben Pharisäer waren Mitglieder einer Reformbewegung, welche u.A. die für den Tempeldienst geltenden Reinhaltungsvorschriften auf das tägliche Leben anwendete. Markus wendet sich hier aber offenbar an Zuhörer, bei denen er keine große Vorbildung voraussetzen kann, und benutzt deshalb einfache, alltägliche Beschreibungen.

In einem Evangelium (nach Matthäus) sagt Jesus, er wolle die alten jüdischen Gesetze nicht aufheben, aber an dieser Stelle klingt es anders: die traditionellen Reinheitsvorschriften haben sich überlebt, weil sie das Problem der inneren Unreinheit des Menschen nicht lösen konnten. Die Hoffnung ist nicht aufgegangen, daß über eine gelegentliche rituelle äußere Reinigung auch eine Säuberung des inneren Menschen zu erreichen sein könnte.

Bemerkenswert ist, daß Jesus die Unreinheit der Menschen an einem, wir würden heute sagen: sozialpolitischen Thema festmacht. Er tadelt die Frommen für ihre Vernachlässigung ihrer Eltern. Die Jungen haben dem Tempel so fromm und großzügig gespendet, daß für die Versorgung der Alten jetzt nichts mehr übrigbleibt. Ein Opfer, ein Korban (ganz sicherlich dem gleichklingenden arabischen Wort für das Kurbanfest, das Opferfest verwandt), mit schöner Wirkung nach außen ist das geworden, was besser im Hause geblieben und den Alten zugute gekommen wäre. Es ist ein falsches Opfer.

Angenommen einmal, die muslimische Kritik ist richtig und diese Aufzeichnung eines Streitgespräches, das Jesus führte, ist erst viele Jahre später verfaßt worden. Was an der Erinnerung des Autors ist richtig, was ist falsch? Wenn sie in großen Teilen richtig ist, dann ist es die tägliche Aufgabe von Jesus gewesen, sich mit seinen Gegnern auch über kleine Details ihrer Lebensführung zu streiten, sozusagen in den boxerischen „Infight“, den Nahkampf zu gehen, um das Falsche der alten Lebenspraxis auch an kleinen Einzelheiten aufzuzeigen.

War die Erinnerung des Autors dagegen fehlerhaft, und Jesus hatte tatsächlich, wie es der Koran lehrt, zuvor ein Buch mit auf die Welt gebracht, aus dem göttliche Weisheit zu lehren war, dann hätte er sicherlich weniger auf den Straßen und Marktplätzen mit seinen Gegnern gerungen, sondern eher den Versuch gemacht, die göttlichen Worte seines Buches unter den Zuhörern aufscheinen zu lassen. Jesus wäre mit diesem Buch in der Hand oder zumindest im Kopf ganz anders aufgetreten als es Markus und die anderen Evangelisten darstellen.

Meine Vorstellung von Jesus kann sich mit diesem Buch-Gedanken nicht anfreunden. Nach meinem Eindruck scheint durch den Markusbericht eine lebendige Erinnerung an den Lehrer Jesus durch, der seine Sendung tatsächlch im täglichen Kampf mit den Menschen auf immer neue Weise zeigen mußte. Er hatte kein Buch als Handbuch und Richtschnur, er hatte eine Vorstellung vom Reich Gottes als einer wachsenden Saat, und davon redete er.

Manchmal wuchs diese Saat sogar so, daß es ihn selbst überrascht haben muß. Davon mehr im nächsten Abschnitt!