Sonntag, 17. Oktober 2010

Tod und Begräbnis




Und sie bringen ihn nach der Stätte Golgatha, was übersetzt ist Schädelstätte. Und sie gaben ihm mit Myrrhe vermischten Wein; er aber nahm ihn nicht. Und sie kreuzigen ihn. Und sie verteilen seine Kleider, indem sie das Los über sie warfen, was jeder bekommen sollte. Es war aber die dritte Stunde, und sie kreuzigten ihn. Und die Aufschrift seiner Beschuldigung war oben angeschrieben: Der König der Juden. Und mit ihm kreuzigen sie zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken.

Und die Vorübergehenden lästerten ihn, schüttelten ihre Köpfe und sagten: Ha! Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst, und steige herab vom Kreuz! Ebenso spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten untereinander und sprachen: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Der Christus, der König Israels, steige jetzt herab vom Kreuz, damit wir sehen und glauben! Auch die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn.

Und in der sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde; und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloí, Eloí, lemá sabachtháni? was übersetzt ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und als einige der Dabeistehenden es hörten, sagten sie: Siehe, er ruft Elia. Einer aber lief, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, laßt uns sehen, ob Elia kommt, ihn herabzunehmen! Jesus aber stieß einen lauten Schrei aus und verschied.

Und der Vorhang des Tempels zerriß in zwei Stücke, von oben bis unten. Als aber der Hauptmann, der ihm gegenüber dabeistand, sah, daß er so verschied, sprach er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn! Es sahen aber auch Frauen von weitem zu, unter ihnen auch Maria Magdalena und Maria, Jakobus' des Kleinen und Joses' Mutter, und Salome, die, als er in Galiläa war, ihm nachfolgten und ihm dienten, und viele andere, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgekommen waren.


Und als es schon Abend geworden war - es war nämlich Rüsttag, das ist der Vorsabbat - kam Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr, der selbst auch das Reich Gottes erwartete, und er wagte es und ging zu Pilatus hinein und bat um den Leib Jesu. Pilatus aber wunderte sich, daß er schon gestorben sein sollte; und er rief den Hauptmann herbei und fragte ihn, ob er schon lange gestorben sei. Und als er es von dem Hauptmann erfuhr, schenkte er Josef den Leib. Und der kaufte feines Leinentuch, nahm ihn herab, wickelte ihn in das Leinentuch und legte ihn in eine Gruft, die in einen Felsen gehauen war, und er wälzte einen Stein an die Tür der Gruft. Aber Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Joses, sahen zu, wohin er gelegt wurde.


(Kapitel 15, 22 – 47)



Wer diese Zeilen liest, blickt zusammen mit allen Christen in der Welt auf das Zentrum ihres Glaubens – und gleichzeitig auf ein großes Geheimnis. Ich denke, dieser gemeinsame Blick, zu dem in einer vielleicht in Zukunft brüderlicher werdenden Welt alle Glaubenden der unterschiedlichsten Religionen eingeladen sind, kann selbst dann die Menschen in staunender Andacht untereinander verbinden, wenn man wie Nureddin glaubt, hier sterbe nur ein Ersatzmann für den unsterblichen Propheten Jesus.

Man muß diese Frage nicht bis ans Ende diskutieren. Wichtig ist ja, daß die Umstehenden offenbar mit Sicherheit annehmen, daß hier Jesus sein Leben beendet. Und sie laden bis heute dazu ein, den Blick nicht abzuwenden von diesem Moment höchster Qual – und gleichzeitig höchster Liebe. Der Gekreuzigte nimmt die Gottverlassenheit* auf sich, zeigt gleichzeitig Gottes unendliche Liebe zur Welt und rettet sie nach dem Verständnis der Christen.

Wie das gehen kann, ist gewiß ein Rätsel, aber der römische Soldat, der Hauptmann unter dem Kreuz, versteht es als erster, ganz intuitiv: hier handelt Gott. Erneut muß der Moslem über das Wort Gottes Sohn weghören, das er natürlich als einen Angriff auf den Monotheismus empfindet. Aber es geht hier ja nicht um die Aufspaltung Gottes in mehrere Personen, es geht um das Staunen über sein Handeln. Der Römer will keine Aussagen über die Vaterschaft machen, die Jesus gezeugt hat. Er will sagen, daß er in diesem Moment etwas ansieht, was in tiefer Weise dem Willen Gottes entspricht.

Im Tempel zerreißt der Vorhang, der das Allerheiligste abtrennt, den Raum den nur der oberste Priester betreten darf, und das nur einmal im Jahr. Gott kommt den Menschen nahe. Der Koran sagt: nahe wie meine Halsschlagader. Das paßt für eine Menschen mit einem weiten und offenen Verständnis genau hierhin, aber es muß aus christlicher Sicht ergänzt werden: nahe, indem Gott das tiefste Leid und Elend des Menschen ergreift und es letztlich sich selbst auflädt.


* die letzten Worte Jesu Mein Gott, warum hast du mich verlassen? sind der Anfang des düsteren und qualvollen Psalms 22


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