Montag, 1. März 2010

Sündenvergebung





Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum hinein, und es wurde bekannt, daß er im Hause sei. Und es versammelten sich viele, so daß sie keinen Platz mehr hatten, nicht einmal vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und sie kommen zu ihm und bringen einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn wegen der Volksmenge nicht zu ihm bringen konnten, deckten sie das Dach ab, wo er war; und als sie es aufgebrochen hatten, lassen sie das Bett hinab, auf dem der Gelähmte lag. Und als Jesus ihren Glauben sah, spricht er zu dem Gelähmten: Kind, deine Sünden sind vergeben. Es saßen dort aber einige von den Schriftgelehrten und überlegten in ihren Herzen: Was redet dieser so? Er lästert. Wer kann Sünden vergeben außer einem, Gott?

Und sogleich erkannte Jesus in seinem Geist, daß sie so bei sich überlegten, und spricht zu ihnen: Was überlegt ihr dies in euren Herzen? Was ist leichter? Zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind vergeben, oder zu sagen: Steh auf und nimm dein Bett auf und geh umher? Damit ihr aber wißt, daß der Sohn des Menschen Vollmacht hat, auf der Erde Sünden zu vergeben - spricht er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett auf und geh in dein Haus! Und er stand auf, nahm sogleich das Bett auf und ging vor allen hinaus, so daß alle außer sich gerieten und Gott verherrlichten und sagten: Niemals haben wir so etwas gesehen!

Und er ging wieder hinaus an den See, und die ganze Volksmenge kam zu ihm, und er lehrte sie. Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zollhaus sitzen. Und er spricht zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach. Und es geschieht, daß er in seinem Hause zu Tisch lag, und viele Zöllner und Sünder lagen mit Jesus und seinen Jüngern zu Tisch, denn es waren viele, und sie folgten ihm nach. Und als die Schriftgelehrten der Pharisäer ihn mit den Sündern und Zöllnern essen sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Mit den Zöllnern und Sündern ißt er? Und Jesus hörte es und spricht zu ihnen: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.

Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten; und sie kommen und sagen zu ihm: Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Können etwa die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann, an jenem Tag, werden sie fasten. Niemand näht einen Flicken von neuem Tuch auf ein altes Gewand; sonst reißt das Eingesetzte von ihm ab, das neue vom alten, und ein schlimmerer Riß entsteht. Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der Wein die Schläuche zerreißen, und der Wein und die Schläuche verderben; sondern neuen Wein füllt man in neue Schläuche.


(Kapitel 2, 1- 22)

Mit dieser Geschichte kommen wir zum ersten Mal an eine Stelle, an der ein Moslem möglicherweise mehr versteht als ein Christ. Für den Christen ist die Geschichte sehr vertraut, zu vertraut, er hat sie vermutlich bereits im Kindergottesdienst gehört und sich dabei an den besonders spektakulären Umständen dieses Heilungswunders gefreut. Ein Dach wird abgedeckt, der Staub rieselt, und am Ende trägt ein geheilter Lahmer sein Bett nach Hause. Der Christ, der das alles kennt, hat natürlich sehr wohl verstanden, daß es Jesus um zweierlei geht, die Vergebung der Sünden und die Heilung der Krankheit, aber in Erinnerung behalten hat er wohl meist nur die Heilung. Daß Jesus auch Sünden vergibt, das ist für einen Christen eine liebe und gewohnte Selbstverständlichkeit, auf die er an dieser Stelle wenig achtet.

Für einen Moslem ist es dagegen eher ein Skandal. Ich habe mich mit Nureddin oft über die Barmherzigkeit Gottes unterhalten und von ihm gelernt, daß er ganz selbstverständlich ebenso wie ich an eine Vergebung der Sünden glaubt. Aber ebenso selbstverständlich ist es für ihn, daß diese Vergebung erst am jüngsten Tag erfolgen wird und daß sie nur von einer einzigen Instanz ausgesprochen werden kann: von Gott selbst.

Diese Anschauung ist deckungsgleich mit der Anschauung der Juden. Sie empfinden es damals wie heute als eine Lästerung, daß ein Mensch sich anmaßt, Sünden zu vergeben. Jesus weiß das, und er reagiert auf die Einwände der Umstehenden, indem er sogleich das Heilungswunder folgen läßt. Von nun an ist aber klar, was eine Heilung durch Jesus bedeuten soll: es wird darin etwas vorgezogen, was eigentlich erst in Jüngsten Gericht geschehen soll, nämlich die Vergebung der Sünden und die Befreiung von allen Lasten, auch von den krankmachenden.

Ich hatte im ersten Kapitel versucht, die für einen Moslem anstößige Behauptung weniger schwerwiegend zu machen, Jesus sei ein von Gott gezeugter Mensch. Ich hatte gesagt, daß er lediglich adoptiert worden ist. Nun zeigt sich im zweiten Kapitel aber sogleich, daß der adoptierte Sohn Rechte für sich in Anspruch nimmt, die eigentlich nur seinem Vater zustehen. Dies kann ich im Gespräch mit Nureddin sicherlich nicht klein machen. Ich kann nur hoffen, daß er trotzdem weiterliest.

Ich kann außerdem einen zweiten Punkt in unseren bisherigen Gesprächen vertiefen. Wir haben oft darüber geredet (und Nureddin hat in den ersten Kommentaren hier im Blog ja auch deutlich zu der Frage geschrieben), ob Jesus möglicherweise erst von seinen Nachfolgern, besonders von Paulus, zu dem gottähnlichen Wesen gemacht worden ist, das die Christen verehren und das die Moslems ablehnen, weil es ihrer Vorstellung eines reinen Monotheismus widerspricht. Von dieser Szene ausgehend, in der Jesus Sünden vergibt, muß man nun sagen, daß Jesus wesentliche Attribute seiner Ähnlichkeit mit Gott bereits zu seinen Lebzeiten beansprucht hat.

Dies gilt natürlich nur, wenn der Bericht des Markus richtig ist. Für diese Annahme spricht allerdings, daß hier nach meinem Eindruck sehr deutlich der einzige Grund dargelegt wird, warum Jesus am Ende zum Tode verurteilt wird. Als wohltätiger Arzt und auch als zur Buße aufrufender Prediger wäre er nie mit dem jüdischen und römischen Autoritäten in Konflikt geraten. Als die Sünden vergebender Gottessohn ist er für beide Parteien unerträglich.

Wir sehen also hier - mit Dank an die uns zur Verfügung gestellte muslimische Brille! - zum ersten Mal den Skandal, den das Auftreten von Jesus mit sich bringt. Dieser Skandal setzt sich, das sei noch kurz erwähnt, in den nun folgenden Geschichten fort, in denen Jesus die unter den Juden verhaßten Steuerpächter ("Zöllner") zu Jüngern macht und die strengen asketischen Vorschriften der anderen frommen Leute durchbricht.

Erstmals spricht Jesus hier von sich als vom Sohn des Menschen. Für einen Moslem wird das sympathisch klingen, es betont die Menschlichkeit von Jesus. Für die ersten Christen wurde es eine ernste Aufgabe, in der Erinnerung an Jesus einen Ausgleich zu finden zwischen seinen menschlichen und seinen göttlichen Attributen. Gelöst wurde die Frage erst im Jahre 325 durch eine Kompromißformel, die beim Konzil von Nicäa gefunden wurde, dem heutigen Iznik in der Türkei.




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