Montag, 3. Mai 2010

Ein falsches Opfer





Und es versammeln sich zu ihm die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten, die von Jerusalem gekommen waren; und als sie einige seiner Jünger mit unreinen, das ist ungewaschenen, Händen Brot essen sahen - denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie sich nicht sorgfältig die Hände gewaschen haben, indem sie die Überlieferung der Ältesten festhalten; und vom Markt kommend , essen sie nicht, wenn sie sich nicht gewaschen haben; und vieles andere gibt es, was sie zu halten übernommen haben: Waschungen der Becher und Krüge und Kupfergefäße - fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: Warum leben deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen das Brot mit unreinen Händen? Er aber sprach zu ihnen: Treffend hat Jesaja über euch Heuchler geweissagt, wie geschrieben steht: "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren." Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest. Und er sprach zu ihnen: Trefflich hebt ihr das Gebot Gottes auf, damit ihr eure Überlieferung haltet. Denn Mose hat gesagt: "Ehre deinen Vater und deine Mutter!" und: "Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben." Ihr aber sagt: Wenn ein Mensch zum Vater oder zur Mutter spricht: Korban - das ist eine Opfergabe - sei das, was dir von mir zugute gekommen wäre, laßt ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun, indem ihr das Wort Gottes ungültig macht durch eure Überlieferung, die ihr überliefert habt; und ähnliches dergleichen tut ihr viel.

Und als er die Volksmenge wieder herbeigerufen hatte, sprach er zu ihnen: Hört mich alle und versteht! Da ist nichts, was von außerhalb des Menschen in ihn hineingeht, das ihn verunreinigen kann, sondern was aus dem Menschen herausgeht, das ist es, was den Menschen verunreinigt.

Und als er von der Volksmenge weg in ein Haus eintrat, befragten ihn seine Jünger über das Gleichnis. Und er spricht zu ihnen: Seid auch ihr so unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht verunreinigen kann? Denn es geht nicht in sein Herz hinein, sondern in den Bauch, und es geht heraus in den Abort. Damit erklärte er alle Speisen für rein. Er sagte aber: Was aus dem Menschen herauskommt, das verunreinigt den Menschen. Denn von innen aus dem Herzen der Menschen kommen die bösen Gedanken hervor: Unzucht, Dieberei, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Neid , Lästerung, Hochmut, Torheit; alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus und verunreinigen den Menschen.


(Kapitel 7, 1 - 23)

In diesem Abschnitt gibt es erstmals Spuren einer persönlichen Handschrift des Autors. Er erklärt in einem längeren Einschub - denn die Pharisäer … – seinen Zuhörern, was ein Pharisäer ist. Er tut es auf eine simple, praktische Art und Weise, wenn sie vom Markt kommen, tun sie das und das. Wir hätten es heute gerne etwas Lexikalischer, dann müßte er so etwa schrieben Pharisäer waren Mitglieder einer Reformbewegung, welche u.A. die für den Tempeldienst geltenden Reinhaltungsvorschriften auf das tägliche Leben anwendete. Markus wendet sich hier aber offenbar an Zuhörer, bei denen er keine große Vorbildung voraussetzen kann, und benutzt deshalb einfache, alltägliche Beschreibungen.

In einem Evangelium (nach Matthäus) sagt Jesus, er wolle die alten jüdischen Gesetze nicht aufheben, aber an dieser Stelle klingt es anders: die traditionellen Reinheitsvorschriften haben sich überlebt, weil sie das Problem der inneren Unreinheit des Menschen nicht lösen konnten. Die Hoffnung ist nicht aufgegangen, daß über eine gelegentliche rituelle äußere Reinigung auch eine Säuberung des inneren Menschen zu erreichen sein könnte.

Bemerkenswert ist, daß Jesus die Unreinheit der Menschen an einem, wir würden heute sagen: sozialpolitischen Thema festmacht. Er tadelt die Frommen für ihre Vernachlässigung ihrer Eltern. Die Jungen haben dem Tempel so fromm und großzügig gespendet, daß für die Versorgung der Alten jetzt nichts mehr übrigbleibt. Ein Opfer, ein Korban (ganz sicherlich dem gleichklingenden arabischen Wort für das Kurbanfest, das Opferfest verwandt), mit schöner Wirkung nach außen ist das geworden, was besser im Hause geblieben und den Alten zugute gekommen wäre. Es ist ein falsches Opfer.

Angenommen einmal, die muslimische Kritik ist richtig und diese Aufzeichnung eines Streitgespräches, das Jesus führte, ist erst viele Jahre später verfaßt worden. Was an der Erinnerung des Autors ist richtig, was ist falsch? Wenn sie in großen Teilen richtig ist, dann ist es die tägliche Aufgabe von Jesus gewesen, sich mit seinen Gegnern auch über kleine Details ihrer Lebensführung zu streiten, sozusagen in den boxerischen „Infight“, den Nahkampf zu gehen, um das Falsche der alten Lebenspraxis auch an kleinen Einzelheiten aufzuzeigen.

War die Erinnerung des Autors dagegen fehlerhaft, und Jesus hatte tatsächlich, wie es der Koran lehrt, zuvor ein Buch mit auf die Welt gebracht, aus dem göttliche Weisheit zu lehren war, dann hätte er sicherlich weniger auf den Straßen und Marktplätzen mit seinen Gegnern gerungen, sondern eher den Versuch gemacht, die göttlichen Worte seines Buches unter den Zuhörern aufscheinen zu lassen. Jesus wäre mit diesem Buch in der Hand oder zumindest im Kopf ganz anders aufgetreten als es Markus und die anderen Evangelisten darstellen.

Meine Vorstellung von Jesus kann sich mit diesem Buch-Gedanken nicht anfreunden. Nach meinem Eindruck scheint durch den Markusbericht eine lebendige Erinnerung an den Lehrer Jesus durch, der seine Sendung tatsächlch im täglichen Kampf mit den Menschen auf immer neue Weise zeigen mußte. Er hatte kein Buch als Handbuch und Richtschnur, er hatte eine Vorstellung vom Reich Gottes als einer wachsenden Saat, und davon redete er.

Manchmal wuchs diese Saat sogar so, daß es ihn selbst überrascht haben muß. Davon mehr im nächsten Abschnitt!




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