Donnerstag, 20. Mai 2010

Verstehen und nicht verstehen




Als in jenen Tagen wieder eine große Volksmenge da war und nichts zu essen hatte, rief er seine Jünger zu sich und spricht zu ihnen: Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen; und wenn ich sie hungrig nach Hause entlasse, so werden sie auf dem Weg verschmachten; und einige von ihnen sind von weit her gekommen. Und seine Jünger antworteten ihm: Woher wird jemand diese hier in der Einöde mit Brot sättigen können? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie aber sagten: Sieben. Und er gebietet der Volksmenge, sich auf der Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie vorlegten; und sie legten der Volksmenge vor. Und sie hatten einige kleine Fische; und er segnete sie und ließ auch sie vorlegen. Und sie aßen und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken übrigblieb, sieben Körbe. Es waren aber etwa viertausend; und er entließ sie.

Und er stieg sogleich mit seinen Jüngern in das Boot und kam in die Gegend von Dalmanuta. Und die Pharisäer kamen heraus und fingen an, mit ihm zu streiten, indem sie von ihm ein Zeichen vom Himmel begehrten, um ihn zu versuchen. Und er seufzte auf in seinem Geist und spricht: Was begehrt dieses Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich, ich sage euch: Nimmermehr wird diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden! Und er ließ sie stehen , stieg wieder ein und fuhr an das jenseitige Ufer. Und sie vergaßen, Brote mitzunehmen, und außer einem Brot hatten sie nichts bei sich auf dem Boot. Und er gebot ihnen und sprach: Seht zu, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes! Und sie überlegten miteinander: Das sagt er, weil wir keine Brote haben. Und er erkannte es und spricht zu ihnen: Was überlegt ihr, weil ihr keine Brote habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr nicht? Habt ihr euer Herz verhärtet? Augen habt ihr und seht nicht? Und Ohren habt ihr und hört nicht? Und erinnert ihr euch nicht, als ich die fünf Brote unter die Fünftausend brach, wie viele Handkörbe voll Brocken ihr aufgehoben habt? Sie sagen zu ihm: Zwölf. Als ich die sieben unter die Viertausend brach , wieviele Körbe voll Brocken habt ihr aufgehoben? Und sie sagen: Sieben. Und er sprach zu ihnen: Versteht ihr noch nicht?

Und sie kommen nach Betsaida; und sie bringen ihm einen Blinden und bitten ihn, daß er ihn anrühre. Und er faßte den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorf hinaus; und als er in seine Augen gespien und ihm die Hände aufgelegt hatte, fragte er ihn: Siehst du etwas? Und er blickte auf und sagte: Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen. Dann legte er wieder die Hände auf seine Augen, und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar. Und er schickte ihn nach seinem Haus und sprach: Auch nicht ins Dorf sollst du gehen!

Und Jesus und seine Jünger gingen hinaus in die Dörfer von Cäsarea Philippi. Und auf dem Weg fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Was sagen die Menschen, wer ich bin? Sie aber antworteten ihm und sagten: Johannes der Täufer; und andere: Elia; andere aber: einer der Propheten. Und er fragte sie: Ihr aber, was sagt ihr, wer ich bin? Petrus antwortet und spricht zu ihm: Du bist der Christus. Und er redete ihnen ernstlich zu, daß sie mit niemandem über ihn reden sollten.


Und er fing an, sie zu lehren: Der Sohn des Menschen muß vieles leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort mit Offenheit. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihn zu tadeln. Er aber wandte sich um und sah seine Jünger und tadelte Petrus und sagte: Geh weg hinter mich, Satan! Denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist. Und als er die Volksmenge samt seinen Jüngern herzugerufen hatte, sprach er zu ihnen: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach! Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, wird es retten. Denn was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und sein Leben einzubüßen? Denn was könnte ein Mensch als Lösegeld für sein Leben geben? Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie das Reich Gottes in Kraft haben kommen sehen.

(Kapitel 8, 1 – 38 und 9, 1)


In diesem Kapitel taucht das Problem der verständnislosen Zuhörer erneut auf, und es wird diesmal deutlich, daß selbst die Jünger nicht sicher sein können, einen festen und dauerhaften Platz auf der Seite der Verstehenden garantiert zu haben. Sie haben zwar zwei große Brotwunder miterlebt, schlagen sich dann aber doch beinahe auf die Seite der Pharisäer, die ihren Unglauben und Haß hinter der Forderung verstecken, Jesus möge ein weiteres Zeichen seiner göttlichen Sendung abliefern. Man kann an dieser Stelle die schmerzhafte Erkenntnis auch für sich selbst und sein eigenes Leben von Jesus übernehmen: auch Zeichen helfen nicht, wenn der Unglaube sich erst einmal eingenistet hat.

Wieviel haben die Jünger bis jetzt wirklich verstanden? Aus diesem Kapitel wird es nicht eindeutig klar. Einerseits begründet Petrus mit seinem klaren Bekenntnis: Du bist der Gesalbte, der Messias (hebräisch), der Christus (griechisch), sicherlich seinen natürlichen Anspruch auf die Leitung der ersten Kirche. Andererseits muß er sich als Satan tadeln lassen, weil er Jesus widerspricht als dieser hier zum ersten Mal von seinem zukünftigen Martyrium redet.

Die Christen haben sich zu allen Zeiten in dem Bild der unsicheren Jünger wie in einem Spiegel wiedergefunden. Es ist ein realistisches Bild, es gilt bis in unsere Tage hinein. Was kann man tun, um nicht auf ewig selbst zu den Zweiflern und Wacklern zu gehören? Vielleicht ist es kein Zufall, daß am Ende des Kapitels die großen und schweren Worte von dem Leben stehen, das sich selbst verliert, um auf diesem Weg gerettet zu werden. Wenn es in der Geschichte immer wieder starke Zeichen von Glaubensfestigkeit und christlichem Mut gegeben hat, dann hat sich beides oft aus dieser Quelle und den Worten gespeist, die Martin Luther auf klassische Weise übersetzt hat:

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Ich denke, dieses Jesuswort kann sich auch ein Muslim zu eigen machen. Er kann es selbst dann, wenn er nicht glauben möchte, daß Jesus hier sein eigenes Leiden angekündigt hat. Nach islamischem Verständnis ist Jesus ja nicht wirklich gestorben, sondern in den letzten Stunden der Kreuzigung von einem Vertreter ersetzt worden.

Der Christ ist hier vielleicht in der glücklicheren Position, weil er beides für wahr halten darf: daß der Glaube auf dem Weg über den Verlust gewonnen werden kann, und daß Jesus diesen Weg des Verlustes selbst beispielhaft vorangegangen ist.



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