Dienstag, 20. April 2010

Wunder




Und als Jesus in dem Boot wieder an das jenseitige Ufer hinübergefahren war, versammelte sich eine große Volksmenge zu ihm; und er war am See. Und es kommt einer der Synagogenvorsteher, mit Namen Jaïrus, und als er ihn sieht, fällt er ihm zu Füßen und bittet ihn sehr und sagt: Mein Töchterchen liegt in den letzten Zügen. Komm, und lege ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und lebt! Und er ging mit ihm, und eine große Volksmenge folgte ihm, und sie drängten ihn.

Und es war eine Frau, die zwölf Jahre mit einem Blutfluß behaftet war und vieles erlitten hatte von vielen Ärzten und alle ihre Habe aufgewendet und keinen Nutzen davon gehabt hatte; es war vielmehr schlimmer mit ihr geworden. Als sie von Jesus gehört hatte, kam sie in der Volksmenge von hinten und rührte sein Gewand an; denn sie sagte: Wenn ich nur sein Gewand anrühre, werde ich geheilt werden. Und sogleich vertrocknete die Quelle ihres Blutes, und sie merkte am Leib, daß sie von der Plage geheilt war. Und sogleich erkannte Jesus in sich selbst die Kraft, die von ihm ausgegangen war, wandte sich um in der Volksmenge und sprach: Wer hat mein Gewand angerührt? Und seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst, daß die Volksmenge dich drängt, und du sprichst: Wer hat mich angerührt? Und er blickte umher, um die zu sehen, die dies getan hatte. Die Frau aber fürchtete sich und zitterte, da sie wußte, was ihr geschehen war, kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sprach zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich geheilt. Geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!

Während er noch redete, kommen sie von dem Haus des Synagogenvorstehers und sagen: Deine Tochter ist gestorben, was bemühst du den Lehrer noch? Jesus aber überhörte das Wort, das geredet wurde, und spricht zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht; glaube nur! Und er erlaubte niemand, ihn zu begleiten, außer Petrus und Jakobus und Johannes, dem Bruder des Jakobus. Und sie kommen in das Haus des Synagogenvorstehers, und er sieht ein Getümmel und Weinende und laut Heulende. Und er geht hinein und sagt zu ihnen: Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie lachten ihn aus. Als er aber alle hinausgetrieben hatte, nimmt er den Vater des Kindes und die Mutter und die, die bei ihm waren, mit und geht hinein, wo das Kind war. Und er ergriff die Hand des Kindes und spricht zu ihm: Talita kum! Das ist übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher; es war nämlich zwölf Jahre alt. Und sie erstaunten sogleich mit großem Erstaunen. Und er gebot ihnen dringend, daß niemand dies erfahren solle, und er sagte, man solle ihr zu essen geben.

(Kapitel 5, 21 – 43)


Dies ist wieder eine Geschichte, die sich unter den Christen großer Beliebtheit erfreut: Die Tochter des Jaïrus, gesprochen Ja-i-rus mit Betonung auf dem „i“. Viele verbinden sie mit dem nebenstehenden Bild, das in alten Kinderbibeln zu finden ist, illustriert von dem berühmten Bibelmaler Julius Schnorr von Carolsfeld (1794 – 1872) in seiner allerdings heute als überholt betrachteten Malweise.

Zusammen mit der Auferweckung des Lazarus und des Jünglings zu Nain ist sie eine von drei Totenauferweckungen, die von Jesus berichtet werden. Den Kindern erzählt man besonders gerne die Geschichte des 12jährigen Mädchens aus der Familie des Synagogenvorstehers, weil sie ja von einem Kind handelt.

Ich habe mich früher beim Hören oft gefragt, wer denn nun Recht hat – die Verwandten, die das Mädchen bereits als tot beklagen, oder Jesus, der sie alle beruhigt und sagt, sie schläft nur? Vielleicht könnte man zu der Kompromißformel kommen, daß für Jesus jeder Tod nur ein Schlaf ist, aus dem der Tote jederzeit mit Hilfe übernatürlicher Kräfte wieder zurück ins Leben geholt werden kann.

Rätselhafter noch ist die kleine Szene auf dem Weg, in der die Bluterin geheilt wird. Sie verrät nach meinem Eindruck etwas von dem Prinzip nach dem bei Jesus Wunder geschehen: es ist eine Kraftübertragung von ihm auf den Kranken. Allerdings wird nur an dieser einzigen Stelle dieses Detailwissen um das Wesen von Wundern ein wenig aufgedeckt. Jesus spürt, so können wir vermuten, offenbar die Übertragung dieser Kraft selbst dann, wenn sie unbewußt und fast gegen seinen Willen geschieht.

Die Frau fürchtet sich davor, daß Jesus unwillig reagieren könnte. Er aber findet bei ihr das, was er bei so vielen anderen vergeblich sucht: Glaube. Geh hin in Frieden, sagt er. Für solche Worte lieben ihn die Christen. Und auch für die Sorge um das kleine Mädchen: gebt ihr zu essen. Es sind diese kleinen Details aus einem in den Alltag der Menschen eingebetteten Leben, die Jesus für die Christen so einzigartig machen.

Er war einer von uns, das verbindet uns sehr eng mit ihm. Und gleichzeitig war er ganz anders.



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