Montag, 12. April 2010

Schweine




Und sie kamen an das jenseitige Ufer des Sees in das Land der Gerasener. Und als er aus dem Boot gestiegen war, begegnete ihm sogleich von den Grüften her ein Mensch mit einem unreinen Geist, der seine Wohnung in den Grabstätten hatte; und selbst mit Ketten konnte ihn keiner mehr binden, da er oft mit Fußfesseln und mit Ketten gebunden worden war und die Ketten von ihm in Stücke zerrissen und die Fußfesseln zerrieben worden waren; und niemand konnte ihn bändigen.Und allezeit, Nacht und Tag, war er in den Grabstätten und auf den Bergen und schrie und zerschlug sich mit Steinen.

Und als er Jesus von weitem sah, lief er und warf sich vor ihm nieder; und er schrie mit lauter Stimme und sagt: Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht ! Denn er sagte zu ihm: Fahre aus, du unreiner Geist, aus dem Menschen! Und er fragte ihn: Was ist dein Name? Und er spricht zu ihm: Legion ist mein Name, denn wir sind viele. Und er bat ihn sehr, daß er sie nicht aus der Gegend fortschicke.

Es war aber dort an dem Berg eine große Herde Schweine, die weidete. Und sie baten ihn und sagten: Schicke uns in die Schweine, damit wir in sie hineinfahren! Und er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister fuhren aus und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See, etwa zweitausend, und sie ertranken in dem See. Und ihre Hüter flohen und verkündeten es in der Stadt und auf dem Land; und sie kamen, um zu sehen, was geschehen war.

Und sie kommen zu Jesus und sehen den Besessenen, der die Legion gehabt hatte, bekleidet und vernünftig sitzen, und sie fürchteten sich. Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie dem Besessenen geschehen war und das von den Schweinen. Und sie fingen an, ihn zu bitten, daß er aus ihrem Gebiet weggehe.

Und als er in das Boot stieg, bat ihn der, der besessen gewesen war, daß er bei ihm sein dürfe. Und er gestattete es ihm nicht, sondern spricht zu ihm: Geh in dein Haus zu den Deinen und verkünde ihnen, wieviel der Herr an dir getan und wie er sich deiner erbarmt hat. Und er ging hin und fing an, im Zehnstädtegebiet auszurufen, wieviel Jesus an ihm getan hatte; und alle wunderten sich.


(Kapitel 5, 1 – 20)


Wieder wird eine Geschichte erzählt, von der ein Moslem intuitiv einiges mehr versteht als ein Christ. Die verhaßten Schweine! Nureddin hat mir einmal aus seiner Sicht als medizinisch sehr gut bewanderter Mensch etwas über Schweine gesagt. Ihr Fleisch zu essen ist für ihn gleichbedeutend mit dem Verzehr des Fleisches von Aasgeiern und Ratten. Man ißt keine Tiere, die ihrerseits von Schmutz, Kot und Aas leben.

Es geschieht den Dämonen (und den Schweinen) also Recht, daß sie auf so spektakuläre Weise ihr Ende finden, sie gehören beide dem Reich der Dunkelheit und dem Reich des Schmutzes an. Aber warum wird die Geschichte erzählt? Sicherlich nicht, um das jüdische und muslimische Schweinefleisch-Verbot zu bekräftigen (dessen Aufhebung bei Jesus nie angesprochen wurde, das war später eine Entscheidung der jungen christlichen Gemeinde, und es rief dann auch einige Spannungen innerhalb der Gemeinde hervor*), auch nicht um es aufzuheben.

Die Schweine illustrieren hier zunächst nur, daß Jesus sich bei seinem Besuch auf der Ostseite des Sees Genezareth nicht mehr unter Juden bewegt. Die Mischbevölkerung im dortigen Gerasa hatte ihr Judentum weitestgehend verloren und die griechische oder heidnische Sitte angenommen, Schweine als Haustiere zu halten.

Es zeigt sich, daß auch in diesem „Ausland“ das Problem der Dämonen weiter besteht, und hier ist es offenbar auch ein Sicherheitsproblem für die Bewohner der Gegend, denn dieser wilde, in den Grabkammern und Grüften lebende Mann, war offenbar nicht unter Kontrolle zu halten und stellte eine Gefahr für jeden dar, der sich ihm näherte.

Es ist ein Segen für das ganze Gebiet, daß er nun von Jesus geheilt und in ein friedliches Leben zurückgeführt wird. Nur zeigt sich – und das erscheint mir der Kern der Geschichte zu sein – daß die Bewohner des Gebietes diesen Segen nicht wollen, oder zumindest den Preis dafür nicht bezahlen möchten. Höflich aber bestimmt bitten sie Jesus, ihr Land zu verlassen.

Es ist eine beklemmende Szene, wie da die Menschen aus der nahen Stadt zu Jesus an den See kommen. Vorne ist es eine idyllische Szene: der geheilte Besessene sitzt friedlich bei Jesus und den Jüngern. Alles ist gut. Aber im Hintergrund treiben 2.000 tote Tiere auf dem See. Den wirtschaftlichen Verlust im Kopf rechnen die Gerasener die Freiheit von Dämonen gegen den Erhalt einer Schweineherde auf – und entscheiden sich gegen die Freiheit.


*die Geschichte der Aufhebung des Verbotes durch Petrus steht in Apostelgeschichte 10. Aus den Auseinandersetzungen, die im Galaterbrief Kapitel 2, 11 – 16 geschildert werden, geht hervor, daß Petrus an der Aufhebung des Verbotes später offenbar selbst Zweifel gehabt hat; die junge Gemeinde ging dann in ihrer Entwicklung aber über diese Zweifel hinweg.




1 Kommentar:

  1. Hier müßte sich, wie Du wohl weißt, der Sebaldianer (auch der in Dir) zu Wort melden, aber er schweigt besser. Nur eins vielleicht. Schon vor sehr langen Jahren hat sich eine Notiz in den Tagebüchern von Gombrowicz in meinem Kopf festgebissen. Gombrowicz notiert lakonisch, daß weder das Christentum noch der Marxismus - die beiden großen geistigen Komplexe für ihn als Polen damals - mit den Tieren etwas anzufangen wissen.

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