Montag, 22. Februar 2010

Heilungen und ungewollte Bekanntheit




Und sobald sie aus der Synagoge hinausgingen, kamen sie mit Jakobus und Johannes in das Haus Simons und Andreas'. Die Schwiegermutter Simons aber lag fieberkrank danieder; und sofort sagen sie ihm von ihr. Und er trat hinzu, ergriff ihre Hand und richtete sie auf; und das Fieber verließ sie, und sie diente ihnen. Als es aber Abend geworden war und die Sonne unterging, brachten sie alle Leidenden und Besessenen zu ihm; und die ganze Stadt war an der Tür versammelt. Und er heilte viele an mancherlei Krankheiten Leidende, und er trieb viele Dämonen aus und ließ die Dämonen nicht reden, weil sie ihn kannten.

Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging fort an einen einsamen Ort und betete dort. Und Simon und die, die mit ihm waren, eilten ihm nach; und sie fanden ihn und sagen zu ihm: Alle suchen dich. Und er spricht zu ihnen: Laßt uns anderswohin in die benachbarten Marktflecken gehen, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich ausgegangen. Und er ging und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.

Und es kommt ein Aussätziger zu ihm, bittet ihn und kniet nieder und spricht zu ihm: Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Und er war innerlich bewegt und streckte seine Hand aus, rührte ihn an und spricht zu ihm: Ich will. Sei gereinigt! Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er war gereinigt. Und er bedrohte ihn und schickte ihn sogleich fort und spricht zu ihm: Sieh zu, sage niemand etwas! Sondern geh hin, zeige dich dem Priester, und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zu einem Zeugnis! Der aber ging weg und fing an, die Sache eifrig zu verkünden und auszubreiten, so daß er nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten, und sie kamen von allen Seiten zu ihm.

(Kapitel 1,29 – 45)

Ich lade Nureddin und alle anderen Leser an dieser Stelle einmal besonders ein, diesen Abschnitt und auch die folgenden wie eine ganz normale Erzählung zu lesen. Ich weiß wohl, daß dies auch den meisten Christen schwerfallen dürfte, weil sie es gewohnt sind, die Bibel als ein heiliges und deshalb besonderes Buch zu lesen. Aber sie ist ja auch eine Erzählung.

Zu einer traditionellen Erzählung gehört, daß sich ein lebendiges Spiel ergibt zwischen dem, der schreibt, und dem, der liest: der Leser hat bestimmte Erwartungen, und der Schreiber weiß das natürlich und arbeitet damit - hält etwa den Leser in Anspannung, erzählt Geschichten anders zu Ende, als man es am Anfang erwarten kann, und vieles andere mehr.

Auch die vier Lebensberichte des Neuen Testamentes kann man alle wie eine solche Erzählung lesen, denn auch deren Schreiber verfolgen ja eine Absicht in Bezug auf das, was wir hören sollen und was nicht. Sie wollen alle unsere Aufmerksamkeit haben und spulen deshalb nicht einfach ein paar heilige Texte herunter, von denen sie annehmen können, daß sie von einem frommen Publikum sozusagen ganz von selbst gelesen werden.

Ich frage deshalb: was ist an dieser Stelle unserer Erwartung an die Erzählung? Ich denke, die Antwort wird sein: wir wollen Jesus reden hören. Er hat ja eine Botschaft mit auf diese Welt gebracht, und er redet gut und kraftvoll, wie wir in der Synagoge von Kapernaum erfahren haben.

Es dauert aber bis zum vierten Kapitel, bis Jesus tatsächlich eine längere Rede hält, und das Ergebnis ist, ich sage es vorweg, nicht unbedingt so, wie man es erwartet. Wir kennen jedenfalls zunächst einmal nur die wenigen Worten, die Jesus am Anfang sagt:

Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!

Wir erfahren gerade noch etwas über die erstaunte Reaktion der Zuhörer auf die Wirkung der Predigt in der Synagoge von Kapernaum am See Genezareth*, aber dann nehmen die Geschehnisse einen anderen Lauf als Jesus das Recht sein kann.

Ein besessener Mensch tritt auf, identifiziert Jesus als Heiligen Gottes und wird durch ihn von seinem bösen Geist befreit. Die Kunde von dieser Dämonenaustreibung und von der noch am gleichen Abend erfolgten Heilung der kranken Mutter des Petrus verbreitet sich sehr schnell, und Jesus ist von nun an ständig von hilfesuchenden Menschen umgeben ist. Er flieht am nächsten Morgen vor der Menschenmenge und versucht, in den umliegenden Dorf-Synagogen zu predigen, wird aber offenbar überall von den vielen Menschen, die alle auf Heilungswunder hoffen, behindert.

Die Aufmerksamkeit der Erzählung ist entsprechend zunächst einmal auf das gerichtet, was Jesus tut und weniger auf das, was er sagt. Die ganze Erzählung hat in dieser Phase etwas Atemloses und Getriebenes. Jesus erscheint, das ist sicher erlaubt zu sagen, nicht als Herr der Situation, auch wenn er über böse Geister gebietet und Krankheiten heilt.

*alle Geschichten spielen jetzt bis auf weiteres am See Genezareth, der im nördlichen Teil des heutigen Staates Israel liegt und damals zu der von Jerusalem (in der Provinz Judäa) verwaltungsmäßig getrennten, etwa 100 km von Jerusalem entfernt liegenden Provinz Galiläa gehörte. Dort liegt auch die Heimatstadt der Eltern von Jesus, der Ort Nazareth, etwa 25 km westlich des Sees. Diesen See kann man sich ein wenig wie den Gardasee in Norditalien vorstellen - 20 km in der Länge, 10 km in der Breite und zwischen recht hohen Bergen schön gelegen. Die Grundmauern der Synagoge von Kapernaum (gesprochen Ka-PER-na-um) wurden übrigens von Archäologen freigelegt und sind zu besichtigen.



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