Dienstag, 24. August 2010

Diskussionen




Und sie senden einige der Pharisäer und der Herodianer zu ihm, um ihn in der Rede zu fangen. Und sie kommen und sagen zu ihm: Lehrer, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und dich um niemand kümmerst; denn du siehst nicht auf die Person der Menschen, sondern lehrst den Weg Gottes in Wahrheit. Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben? Da er aber ihre Heuchelei kannte, sprach er zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Denar, damit ich ihn sehe! Sie aber brachten ihn. Und er spricht zu ihnen: Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie aber sagten zu ihm: Des Kaisers. Jesus aber sprach zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und sie verwunderten sich über ihn.

Und es kommen Sadduzäer zu ihm, die sagen, es gebe keine Auferstehung; und sie fragten ihn und sprachen: Lehrer, Mose hat uns geschrieben: Wenn jemandes Bruder stirbt und läßt eine Frau zurück und hinterläßt kein Kind, daß sein Bruder seine Frau nehme und seinem Bruder Nachkommenschaft erwecke. Es waren sieben Brüder. Und der erste nahm eine Frau; und als er starb, hinterließ er keine Nachkommenschaft; und der zweite nahm sie und starb und ließ keine Nachkommenschaft zurück; und der dritte ebenso. Und die sieben hinterließen keine Nachkommenschaft. Zuletzt von allen starb auch die Frau. Wessen Frau von allen wird sie in der Auferstehung sein, wenn sie auferstehen werden? Denn die sieben haben sie zur Frau gehabt. Jesus sprach zu ihnen: Irrt ihr nicht deshalb, weil ihr die Schriften nicht kennt und nicht die Kraft Gottes? Denn wenn sie aus den Toten auferstehen, heiraten sie nicht, noch werden sie verheiratet, sondern sie sind wie Engel in den Himmeln. Was aber die Toten betrifft, daß sie auferweckt werden: Habt ihr nicht im Buch Moses gelesen, wie Gott beim Dornbusch zu ihm redete und sprach: "Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs"? Er ist nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ihr irrt sehr.

Und einer der Schriftgelehrten, der gehört hatte, wie sie miteinander stritten, trat hinzu, und da er wußte, daß er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete ihm: Das erste ist: "Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist ein Herr; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstand und aus deiner ganzen Kraft!" Das zweite ist dies: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" Größer als diese ist kein anderes Gebot. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Recht, Lehrer, du hast nach der Wahrheit geredet; denn er ist einer, und es ist kein anderer außer ihm; und ihn zu lieben aus ganzem Herzen und aus ganzem Verständnis und aus ganzer Seele und aus ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist viel mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Und als Jesus sah, daß er verständig geantwortet hatte, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und es wagte niemand mehr, ihn zu befragen.

Und Jesus begann und sprach, als er im Tempel lehrte: Wie sagen die Schriftgelehrten, daß der Christus Davids Sohn sei? David selbst hat im Heiligen Geist gesagt: "Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten , bis ich deine Feinde unter deine Füße lege!" David selbst nennt ihn Herr. Und woher ist er sein Sohn? Und die große Volksmenge hörte ihn gern.

Und er sprach in seiner Lehre: Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die in langen Gewändern einhergehen wollen und die Begrüßungen auf den Märkten und die ersten Sitze in den Synagogen und die ersten Plätze bei den Gastmählern lieben; die die Häuser der Witwen verschlingen und zum Schein lange Gebete halten! Sie werden ein schwereres Gericht empfangen.

Und er setzte sich dem Schatzkasten gegenüber und sah, wie die Volksmenge Geld in den Schatzkasten einlegte; und viele Reiche legten viel ein. Und eine arme Witwe kam und legte zwei Scherflein ein, das ist ein Pfennig. Und er rief seine Jünger herbei und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr eingelegt als alle, die in den Schatzkasten eingelegt haben. Denn alle haben von ihrem Überfluß eingelegt; diese aber hat aus ihrem Mangel alles, was sie hatte, eingelegt, ihren ganzen Lebensunterhalt.


(Kapitel 12, 13 – 44)


Die Kapitel 12 und 13 berichten vom letzten öffentlichen Reden Jesu, mit Kapitel 14 beginnt dann bereits die Passion, und mit Kapitel 16 schließt das Buch ab – wir haben also mittlerweile drei Viertel von Markus gelesen.

Ich möchte hier auf ein Problem der Auslegung eingehen, das vielleicht tiefer in das für Außenstehende manchmal kompliziert erscheinende Denken der christlichen Theologen einführt. Es ergibt sich aus dem dritten oberen Absatz, der Frage nach dem ersten Gebot. Hier wird ein altes, klassisches Gebot der Juden mit einem zweiten, weniger bekannten Gebot kombiniert. Zunächst das erste:

Höre, Israel: JHWH ist unser Gott, JHWH allein! Und du sollst JHWH, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.

Dieses Gebot, nebenbei ein schönes Bekenntnis zum Tauhid, zum Einssein Gottes ist das Urglaubensbekenntnis aller Juden und findet sich im letzten Mosesbuch (5. Mose 6).

Das zweite Jesus-Gebot, das Gebot zur Liebe des Nächsten, ergibt sich dagegen aus einer sehr viel weniger prominenten Stelle und steht in einem anderen Mosesbuch (3. Mose 19) mitten unter einigen eher praktischen Anweisungen zum jüdischen Zusammenleben im Alltag:

Du sollst deinen Bruder in deinem Herzen nicht hassen. Du sollst deinen Nächsten ernstlich zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld trägst. Du sollst dich nicht rächen und den Kindern deines Volkes nichts nachtragen und sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin JHWH.

Gefragt wird nun von den Auslegern, ob Jesus in seiner neuen Lehre erstmals zwei alte Gesetze genial zu einem neuen verbunden hat, oder ob er hier nicht einfach nur etwas gelehrt hat, was bereits vor ihm bekannt und jüdische Volksfrömmigkeit war. Von einem biblischen Lehrer wird eigentlich immer erwartet, daß er etwas Neues in die Welt bringt. Insofern wäre die erste Version - Jesus fügt auf neue Weise etwas zusammen - eigentlich angenehmer.

Dagegen wird allerdings die zweite Version - die Zusammenfügung war schon vor Jesus bekannt - aus dem Neuen Testament indirekt dadurch gestützt, daß Lukas (in seinem Kapitel 10) ebenfalls die Kombination beider Mose-Zitate erwähnt, sie aber nicht von Jesus aussprechen läßt, sondern von einem Schriftgelehrten. Der hatte zuvor Jesus die Frage gestellt, was steht im Gesetz?. Der Schriftgelehrte sagt dann auf Jesus Gegenfrage hin fast wörtlich das, was Jesus in Markus lehrt.

Bei Lukas schließt sich dann die wunderbare Geschichte von dem barmherzigen Fremden an, der aus dem benachbarten Samaria stammt und einem von Räubern schwer verletzten Juden hilft. Zuvor hatten ihn jüdische Volksgenossen, darunter ein Priester, unversorgt am Weg liegengelassen.

Nur bei Lukas findet sich diese allen Christen vertraute Geschichte vom barmherzigen Samariter. Vielleicht hat Lukas noch schärfer als Markus herausarbeiten wollen, daß mit der Kombination beider Worte, die eher exklusive Liebe zu JHWH übergeht auf die Liebe zu allen Menschen, wenn ich in einem von ihnen meinen Nächsten erkenne.

Man kann dann allgemein folgern: ab hier wird das Wort von Gott international. Wenn die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten ineinander übergehen und im Prinzip in die gleiche Richtung gehen, dann kann an jedem Ort der Welt der Tempel Gottes entstehen.



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