Montag, 1. November 2010

Fragen von Nureddin




Nureddin hat mir nach Fertigstellung seines letzten Blogeintrags noch einige Fragen geschickt, auf die ich nach und nach noch eingehen will. Seine erste Frage ist:

Wieso wird die Bibel als Gottes Wort verstanden, wenn Jesus (Friede sei mit ihm) nicht direkt einen Einfluß darauf hatte?

Mein sehr konservativer Vater hat immer geglaubt, daß jeder einzelne Schritt bis zur Fertigstellung der Bibel unmittelbar von Gott geleitet wurde. Für ihn war die Bibel deshalb Gottes Wort, weil sie Gottes Willen entsprach, und deshalb war sie für ihn (wie für Dich, Nureddin der Koran) auch wirklich buchstäblich wahr. Ich habe um das Jahr 1970 nächtelang erbittert mit meinem Vater diskutiert, weil ich es anders glaubte.

Mittlerweile haben viele konservative Ausleger die kritischen Methoden der modernen Historiker akzeptiert. Der Papst gehört zu ihnen und sagt auf Seite 17 seines Jesusbuches, er habe dieses Buch nicht gegen die moderne Exegese geschrieben, sondern in großer Dankbarkeit für das viele, was sie uns geschenkt hat und schenkt.

Nach der modernen Exegese ist es bei der Entstehung der Bibel durchaus menschlich zugegangen. Es wurden Fehler gemacht, es gingen Manuskripte verloren, es mußten menschliche Entscheidungen für und gegen die Aufnahme verschiedener Bücher in den Kanon, wie man das Ganze nennt, getroffen werden.

Was hält das Ganze trotzdem zusammen? Für mich ist es der Gesamteindruck, der im Kopf und Herzen eines Gläubigen entsteht, wenn er sich lange mit den einzelnen Teilen beschäftigt hat. Er erkennt zwar eine gewisse Spannweite an Unterschieden, er scheidet das eine oder andere sogar für sich persönlich aus, aber er sieht insgesamt einen großen zusammenhängenden Strom an Gedanken des Glaubens, der ihn am Ende überzeugt und seinen Glauben in starkem Maße fördert.

Ist dieser Strom noch Gottes Wort? Ich mache ein gedankliches Experiment: Nureddin, nimm einmal an, wir beide seien auf einer einsamen Insel, ohne Bücher, ohne Anschluß an moderne Medien, und ich sei ein religiös vollkommen ungebildeter Mann. Nun erzählst Du mir über Jahre von Deinem Glauben (ohne mir einzelne Stellen des Korans wörtlich sagen zu können, die hättest Du vergessen), und ich nehme diesen Glauben am Ende an. Bin ich ohne ein echtes Wort Gottes schlechter gebildet, als einer, der parallel einen entsprechenden Kurs an der ehrwürdigen Al-Azhar-Universität in Kairo gemacht und Arabisch, den Koran und vieles andere gelernt und die heiligen Schriften im Original studiert hat?

Bei uns Christen ist die Antwort: nein, eher im Gegenteil. Wir lieben das persönliche, mit den Fehlern des Lehrers durchsetzte, aber durch das Leben des Lehrers glaubwürdig gemachte Wissen. An der Uni lernt man im Gegensatz dazu sozusagen klinisch sauberen aber oft toten Wikipedia-Stoff.

Ich bin im harten Ringen mit meinem Vater zu der Überzeugung gekommen, daß die Lehre von der Menschwerdung Gottes und der Menschlichkeit seines Wortes zusammengehören und daß beide diesen einen Zweck haben: Göttliches und Menschliches zu einer Symbiose zu bringen. Gedanklich ist das eigentlich fast unmöglich, zu groß ist die Differenz, aber Gott kann und will sie überwinden, aus Liebe zu den Menschen.

Als Ergebnis dieser göttlichen Menschlichkeit entsteht ein lebendiger, am menschlichen Alltag und an den realen Bedingungen der menschlichen Existenz orientierter Glaube. Das ist mein Glaube.



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